Das Wort-Texte2

Georg Bleistein

Da ist ein Mann, dem geht es schlecht im Wohlfahrtsstaat.
Er sucht Liebe und findet Konsum. Er wehrt sich und fällt auf die Nase.

er findet Arbeit.

Das Büro des Inhabers lag neben der Herren- und Damentoilette.
Auf der Tür prangte das Schild "Privat". Georg gab sich einen Schwung, klopfte und trat ein.
Die Tür war von innen gepolstert. Er versank bis zu den Knöcheln in einem Teppich, der schwarzblau war,
die Farbe einer schönen Nacht hatte. Dann stand er einem Mann gegenüber, der sich kaum von dem metallisch
grauen Ledersofa, auf dem er saß, abhob. Er hatte einen Aktenordner in seinem Schoß liegen, den er heftig zuklappte;
aus trüben Augenschlitzen heraus musterte er Georg Bleistein.
"Hab ich Herrein gerufen?" fragte er.
Der Mann hatte eine unangenehm quiekende Stimme, sah alt und krank aus, blaß wie Eis.
"Schuhe abgetreten?" fragte er.
"Sind Sie Herr Tischlinger?" fragte Georg.
"Bin ich! Und?
"Hundhammer schickt mich."
"Achso", sagte Tischlinger eine Spur nachgiebiger. "Wie gehts denn dem guten alten Eugen so?"
"Er lebt", sagte Georg.
Der Mann erhob sich, ging hinter einen robusten Schreibtisch und setzte sich wieder. Auf dem Boden vor dem
Schreibtisch lag ein Zebrafell.
"Name?"
"Bleistein"
"Vorbestraft?"
Georg schüttelte den Kopf.
"Antwort!"
"Nein", sagte Georg. "warum ich hier bin, wissen Sie. Sie suchen doch einen Arbeiter?"
"Nein", sagte der Mann, "es ist genau umgekehrt: die Arbeiter suchen mich!
Hör zu, damit Du Bescheid weißt. Hier bin ich der Chef, mir gehört der Betrieb! Ich habe keine Teilhaber, hier richtet
sich alles nach mir. Ich will absoluten Repekt! Ich verlang von jedem, dass er galoppiert. Wer nur trabt kriegt einen Triit!
Paß auf, was ich nicht mag: das sind Gewerkschaftler, Sozis, Halbstarke und Langhaarige. Ich mag keine Blaumacher,
keine faulen Stinker, ich brauche Leute, die spurn, mit Tempo an die Arbeit gehn. Wer bei mir seine Arbeit macht und
noch ein bisschen mehr, der fährt gut.
Leider sind immer noch die Wenigsten dazu bereit, die Zeichen der Zeit, die auf Sturm stehn, zu befolgen und die
Ratschläge, die ich austeil, zu beherzigen. Ich trinke auch ab und zu, bin kein Unmensch, kein Kostverächter, rauch selten,
leb streng Diät, sonst könnt ich meine Pflichten nicht bewältigen. Wer sich anstelig zeigt, der gefällt mir. Lahmärsche sind
mir ein Greul. Ich habs zu etwas gebracht, das laß ich mir von niemanden nehmen, von Weltverbesserern schon gar nicht.
Ein Bekannter von mir, zum Beispiel, hat nach dem Krieg mit einem Bauchladen angefangen, mit Rasierklingen
und Schnürsenkeln hausiert und dann hat er eine Radioreparaturwerkstatt eröffnet, aufgebaut aus dem Nichts.
Heute besitzt er ein Imperium, ist einer der größten Hersteller von fernsehapparaten, Stereoanlagen. Manchmal hörst Du
ihn mit seinem Hubschrauber über die Stadt fliegen, weil seine Stammwerke so weit auseinanderliegen. Daran nimm Dir
ein Beispiel!
Ich hab mich in der Nahrungsmittelbranche, auf dem Genußmittelsektor spezialisiert, denn essen müssen die Leute immer,
zu jeder Zeit. Jeder soll leben , heißt meine Devise, bloß nicht auf meine Kosten. Ich bin siebzig, in dem Alter ist jeder an-
dere längst in Rente oder Pension, während ich noch tagtäglich meine Arbeit erledige, meine Pflichten erfülle!
Merkst Du den Unterschied? Dir wird nichts geschenkt! Ich hab da so meine Methoden, altbewährte übrigens.
Wenn einer aus der reihe tanzt, fliegt er in hohen Bogen, in dem fall geb ich kein Pardon. Vielleicht, vielleicht auch nicht,
fragst Du Dich jetzt, wieso ich Dir das alles so haarklein erzähle. Dafür gibt es nur einen Grund, nämlich den, dass ich
mir Sorgen machen würde, wenn Du nicht wüßtest, mit wem Du es zu tun hast. Und eins kann ich Dir nur sagen: ich sage
das nicht umsonst! Ihr habt nichts zu melden, aber schon gar nichts - und wem das nicht paßt, den schrubb ich mit dem
Eisernen Besen! Säufer mag ich nur als Gäste, Memmen sind mir zuwider. Wer tüchtig arbeitet und anständig hinlangt,
der hat es gut bei mir. Ich hab Häuser, Grundstücke, Bauplätze, Eigentumswohnungen; Du könntest drin wohnen, die
Miete würd ich Dir ntürlich vom Lohn abziehen."
Es war schwer, den lauernden Blicken des Mannes standzuhalten. Jedesmal, wenn Georg nachzugeben drohte, rief er sich
seine Mutter ins Gedächtnis.
"Du kommst in Frage!" sagte der Mann. "Willst Du die Stelle haben?"
Georg nickte.
"na also! Du kriegst einen Planwagen und kommst an den Stadtrand, und dort wirst Du Bratwurst braten und verkaufen!
Sonst noch Fragen?"
"Ja und welcher Stundenlohn?"
"8 Matk 76, brutto!"
"Einverstanden", sagte Georg gegen seinen Willen.
Woher er Hundhammer kenne, wurde er zum Abschluß gefragt. Eine seiner Tanten sei mit ihm verschwägert, log Georg aufs
Geratewohl. Dann trug ihm Tischlinger  viele Grüße an Hundhammer auf und entließ ihn ohne einen Händedruck.


Die Fürsten der Fabriken
halten sich Handvolk
leben ihr Leben nur zu ihrem Wohl
alle anderen zum Verderb.
Sie fahren in die Wolken
die anderen in die Grube.
Ihr Geld schachtet den Himmel aus
ihr Besitz versetzt Berge.
Was nachkommt, bestimmen sie.
Sie schöpfen aus dem, was unten nicht stirbt.
Sie nehmen nichts auf sich, sie
lassen sich tragen
den Aufrechten verhelfen sie zum Fall.
Und was sie haben fehlt immer mehr.


Die frühen Sonnenstraheln färben kein Gesicht, die Tage wachsen in die Nächte. Und Steine weichen auf und kleben an
den Sohlen. Es gibt viele Feste für die Toten. Die Wolken bluten Nebel, am Tag scheint der Mond. Was zurückliegt, war
anders, und was kommt, ändert nichts. Da liegt die Stadt wie ein erstarrtes, staubgraues Aug aus Glas und mit steinernen
Wimpern. Auf den Dächern funkeln die Antennen.
Kronen einer prunklosen Zeit. Man möchte die Haut abwerfen, kocht im Bett und röstet zwischen Maschinen. Die Kleider
trocknen schon während des Waschens. Schweißdampf bauscht die bleichen Körperzonen. Ein Schritt in den Schatten,
irgendeinen, ist ähnlich einen Gang in Paradies.
Es ist eine schöne Zeit für Begräbnisse.

Dass er zum Bratwurstberater aufgestiegen war, war etwas, dass ihn wie ein trauriger Witz anrührte.
Zuerst erzählte er Sybille Lieberwirth von dem Glück, das ihm widerfahren war, ab morgen zustoßen würde. Er tat ganz so,
als habe er ein Wunder erlebt, das er unbedingt mitteilen musste, bevor er vor lauter Stolz zusammenbrach."

Keine guten Wünsche begleiteten ihm am nächsten Morgen auf seinem Gang in die Stadt. Die Arbeit kam auf ihn zu, war eine
Sorge, eine Not, eine Plage, der Abschaum seiner Gefühle. Er hätte besser eine Schwerstarbeit annehmen sollen, dachte er,
eine bei der es Schmutz- und Gefahrenszulage gibt, als Kantinenwirt auf Großbaustellen in anderen Erdteilen zum Beispiel,
dort hätte er mehr sparen oder eine Ehe mit einer Einheimischen führen, villeicht Vielweiberei betreiben können.
In seinem Kopf rannte er über Wasser und ernährte sich von Sand.
In der hauptstrasse stieg er in die Starßenbahn. Er fuhr schwarz, weil er jeden Pfenning sparen wollte, fand keinen Sitzplatz
und schlingerte stehend hin und her. Am Haltegriff, der ölig war von fremden Schweiß, hielt er sich nur mit einem Finger
fest. Wohin er auch sah, jeder hielt den Rücken gekrümmt, hatte den Kopf mit dem mühsam erweckten Gesicht gesenkt, betrachtete seine Schuhspitzen, als habe er sie versehentlich in Auswurf gebohrt.
Georg hätte es als wohltätigen Wink des Schicksals empfunden, wenn die Starßenbahn entgleist, in die Autostaus gewalzt,
wenn er vielleicht der einzige Überlebende, der Held des Tages geworden wäre, arbeitsunfähig vor Fernsehkameras und
Mikrophonen.
Als ihm die Gegend draußen bekannt vorkam, stieg er aus.
Die Gaststätte "Bratwurst-Ranch" hatte nochj nicht geöffnet; er war zu pünklich gewesen. Er ging vor dem Lokal auf und ab, bis ein zitronengelber Mercedes durch dei Fußgängerzone auf ihn zufuhr. Tischlinger, der Fahrer, hupte, hielt an, stieß den
Wagenschlag auf und winkte Georg ungeduldig herrein. Der Sitz, auf dem er Platz nahm, war mit schneeweißen Lammfell
bespannt, der Wagenboden mit einer Perserbrücke ausgelgt; im Autoradio spielte eine Zither, Kuhglocken schellten im Hintergrund, bis die Musik von einer Zeitansage unterbrochen wurde.
"Na", sagte Tischlinger, "frisch rasiert und sauber gewaschen? Keinen Mundgeruch? So mag ich meine Leute!
Appetitlich müssen sie aussehn, wenn sie mit Essen umzugehen haben! Schnall Dich an!"
Während sie aus der Stadt hinaus fuheren, sagte Tischlinger:
"Die Umsätze, die ich erziele, seind meine Privatangelegenheit, aber eine Steigerung kommt auch Euch zugute, merk Dir das!"
Georg schaute stur auf die Starße, die ihm entgegenzog, während sich Tischlinger mit beiden Händen am Steuerrad festhielt
und redete. Endlich kuvte er im Kriechgang auf einen kleinen Platz, hupte und sagte: "Da wären wir!"
Auf den Platz stand ein Planwagen. Es war wie im Film,. Georg kam ein Grinsen aus. Kein Pfeil stecke in der Plane,
die mit weißblauen Rauten gemustert  und über und über verstaubt und verrußt war, keine Kugel hatte sie durchschlagen.
Die Räder des Wagens hatten knüppelähnliche Holzspeichen; die Deichsel war hochgestellt wie ein Fahnenmast.
Georg dachte sich ein Doppelgespann Zugpferde, saß auf dem Bock und knallte mit der Peitsche......              
Der Platz war eine Schotterwüste, eigekeilt von Tankstellen und Fabrikhallen. Aschgraue  Wohnblocks waren in den Horizont
gerammt, am Rande des Platzes kreuzten sich rostige Gleise, in die mannshohen Mauern der Fabriken waren Glasscheiben einzementiert, dei wie verkrüppelte Hahnenkämme aussahen, auf den Eisentoren kräuselte sich Stacheldraht.
Tischlinger zückte einen Schlüsselbund. Er sperrte eine holzfarbene Hartplastiktür auf, die an der Rückseite des Planwagens
angebracht war, und schwang sich hinein.
"Also", sagte er. "Folgendes: Du wirst mir als erstes Ordnung hier schaffen, auf räumen vom Boden bis zur Decke, alles putzen, innen und außen. Ich werde veranlassen dass Du heute ausnahmsweise noch heute Abend beliefert wirst, und morgen ist Verkauf und nochmal und immer wieder Verkauf. Am besten Du nimmst die Preisliste mit heim und lernst sie bis morgen früh auswendig. Wenn in der kase etwas fehlen sollte, zahlst Du es von deinem Lohn. Einen Liter Limo hast Du gratis pro Tag. Aber wenn ich Dich erwische, das Du Alkohol süffelst, fliegst Du auf der Stelle. In der Kiste unter der Kasse ist alles
was Du für den Anfang brauchst. Ich komm kontrollieren, das merk Dir. Und noch eins: Ich erklär alles bloß einmal!
Denk immer daran, dass mindestens tausend andere bloß darauf warten, diesen Posten zu kriegen. Ich bin kein Unmensch,
aber je ernster Du mich nimmst, desto mehr hast zu lachen!"
"Dein Vorgänger war kein Gescheiter gewesen", sagte sein Chef und schaute ihn eifrig bei der Arbeit zu.
"Glaubst Du, Du kannst das?"
"Die Arbeit gefällt mir", sagte Georg.
"Fein", sagte Tischlinger, ich muss jetzt weiter. Aber ich komm wieder, verlaß Dich drauf!"
Georg begann leise zu zittern, als der zitronengelbe Mercedes davonrollte. Er wünschte sich nur noch, dass auch der Planwagen losfahre: wie ein Zigeuner hätte er die Weite gewonnen, hätte abends vorm Kohlebecken gesessen und in die Glut gesungen.
An die Arbeiten versuchte er sich zu gewöhnen wie an zufällige Ereignisse. Er war noch nicht mit dem ganzen Ernst dabei;
er hielt sich für jemanden, der nur versehentlich hierhergeraten war. Er werkelte vor sich hin, bestimmte jeden Handgriff zum Wohl seiner Mutter, putzte den leicht schaukelnden Wagen, bis es nur noch nach Hygiene roch und er sich spiegeln konnte. Als irgendwann in der Umgebung eine Werksirene brummte, legte er eine Zigarettenpause ein.
Dann füllte er einen Eimer mit Wasser und Scheuerpulver und fing an, die Plane abzuwaschen. Der Schwamm sog sich voll
schwarze Schmiere, der Schaum stach unter den Fingernägeln. Er hängte frische Beutel in die Abfallbehälter, erwischte sich dabei, dass er schon so hantierte, als sei er ein langjähriger Fachmann.
Wenn Leute vorbeigingen , machte er ein abweisendes Gesicht. Als dann sein Hunger wehtat, ließ er alles stehen und liegen
und ging ein Wirtshaus suchen. Er lief am Rand des Platzes auf und ab, ging ein Stück die Straße hinauf; ein Wirtshausschild
sah er nirgends. Vor den Fabriktoren standen noch die Tafeln; Arbeitskräfte wurden nirgends gesucht.
Alles in allem war es eine niederschmetternde Gegend, zweckmäßig verschndelt, Bachsteinmauern, Betonklötze, Autowracks, ab und zu kümmerliche Bäumchen; plötzlich war ihm, als krieche er über den Leib einer verunstalteten Riesin, deren Gesicht, von Geschwüren durchlöchert, dem seiner Mutter ähnlich wurde.
Als er zum Planwagen mit leeren Magen zurückkehrte, stand der zitronengelbe Mercedes davor. Sein Chef wartete bei laufenden Motor. "Spaziergang gemacht?" rief er schon von allerweiten.
Georg schob die Zunge zwischen die Zähne und biß mißmutig zu, damit ihm der Schmerz zu Besinnung brachte.
"Nimm zur Kenntnis", sagte Tischlinger, "dass ab morgen nur dann Pause ist, wenn die Kundschaft nichts will! Fühlst Du Dich schon ein bisschen heimisch?"
"Ich habe Hunger gehabt", sagte Georg.
"Was meinst Du, warum der Wagen grad in dieser Gegend steht?" erwiderte Tischlinger. "Hier ist der Arsch der Welt, weit und
breit kein Lokal, kein Laden, außer uns gibt es nichts. Jetzt kann der Rubel wieder rollen! Deine Arbeitszeit dauert von neun bis sechs, morgens musst Du etwas eher da sein, weil du dann beliefert wirst und abends hast Du auf mich zu warten, bis ich komme und die Kasse abhole. Du bist mir für alles verantwortlich, ich laß Dir nicht durchgehen!"
Als Tischlinger abgefahren war, ging Georg vor dem Planwagen auf und ab und wartete auf die erste Lieferung.
Er ärgerte sich, dass er Tischlinger nicht um einen Vorschuß gebeten hatte; er hätte seiner Mutter die Scheine auf den Tisch gedroschen, sie in ein Restaurant eingeladen, und Hundhammer ihr Chef und Zuhälter hätte sie auf Knien bedienen müssen, verwöhnen mit Austern, Kavier, Ziegenwurst, tropischen Früchten......
Am Morgen des zweiten Arbeitstages stand er wieder viel zu früh auf, wusch sich leise und flüchtig, aß nichts, trank nichts und ging aus dem Haus. Das Gestern fing wieder an.
Als er das Haus, in dem die Stklle toste, verlassen hatte, kam er sich wie ein Vertriebener vor, so rettungslos verloren.
Seine Kleidungsstücke hingen wie Lumpen an ihm, zerschlissen von seinen Fluchten.
Die Stadt lag da wie in den letzten Zügen. Er atmete den Dreck der Nacht ein.
Die Straßenbahn, mit der er fuhr, war fast leer. Er saß wie hinter Panzerglas, seine Augen tränten vor Müdigkeit; die Häuser trieben wie steinerne Schiffe vorbei. Früher, als er in seiner Heimatstadt in der Supermarktküche gearbeitet hatte, hatte er wenigstens noch Kollegen gehabt; nun war er ganz allein auf sich gestellt, musste ohne Hilfe die Leute abfüttern. Es half ihm wenig, wenn er dacht, dass auch diese Zeit nicht ewig dauern, ein Ende, irgend ein Ende finden würde. Du kennst die Arbeit, sagte er sich, Du kennst Dich darin aus, weißt was es heißt, den ganzen Tag auf den Feierabend zu warten, der immer wieder in einem neuen Anfang übergeht: komm, es läuft schon irgendwie, bis Schluß ist.
Als er vor den Fabriken aus der Starßenbahn ausstieg, sah er einige Arbeiter bei Rot über die Straße hetzen, die sich verspätet hatten und lieber den Tod in Kauf nahmen als  unpünktlich zu sein. Bei ihrem Anblick ging er langsamer; hinter jedem Fabriktor hörte er Knochen krachen. Der Planwagen sah von fern abfahrbereit aus. Er schin so winzig und schwerelos, dass ihn eine Schnecke hätte fortziehen können. Als Georg näherkam, blies ein Wind die Wolken auf zerriß sie zu pludrigen Fetzen, fuhr herab und zerrte an der Plane. Er dachte kurz schwarzhäutige Indianer mit gelbgefärbten Schlitzaugen und Zöpfen geflochtenen Bärten....., dann lehnte er sich an die Deichsel und wartete ab. Manchmal schlug die Sonne durch den Dunst; in ihrem Gleißen zerstorben die Schatten.
Als er schon glaubte, vergessen worden zu sein, kam der Lieferwagen an. Hintern Lenkrad saß derselbe Fahrer  wie am Abend zuvor. Er brachte einen blaugrünen Arbeitsmantel, einen Bottich voll kleiner, dünner Würste, die wie abgeklemmte Finger ausschauten, einen Zellophansack mit Semmeln, alle weich wie watte und voller Druckmulden, dazu Kartons mit Büchsenbier un Limonade. Georg öffnete, sperrte die Schlösser auf und kurbelte die Plane hoch. Dann riß er einen Karton mit Bierdosen auf, soff sich auf nüchternen Magen ein Quentchen Stimmung an, studierte die Preisliste.
Kaum streckte er seinen summenden Bauch, kam auch schon der chef im zitronengelben Mercedes angekarrt. Georg goß Spiritus auf  die Holzkohlenasche, warf ein brennendes Streichholz durch den Rost ins Kohlebecken und tat so, als sehe er fachmännisch zu, wie die Stichflamme hochpuffte und flackert zusammensank.
"Schon schön fleißig?" sagte sein Chef. "Das lob ich mir!"
"Immer!", sagte Georg.
Tischlinger stellte die Kasse an ihrem Platz, klappe den Deckel auf und zählte Wechselgeld hinein.
"Dann kann ich ja wieder abbrausen", sagte er. "Die Kasse und die Schlüssel hol ich mir heut abend!"
Der erste Kunde war ein Gabelstaplerfahrer; er entschied sich für eine Wurstsemmel. Essend fuhr der Mann zu seiner Arbeit zurück. Im laufe des Vormittags kam Georg oft in Bedrängnis. Immer wieder ging es vor dem Planwagen zu wie auf einem Rummelplatz; mittags hatte es den Anschain, als würden aich alle Mitarbeiter der umliegenden Firmen auf einmal am Wagen versammeln und sich einen Nachschlag zum Kantinenessen gönnen. Sie hackten sich den billigen Dreck durch die Gurgel, drängten zur Eile; die Arbeiter wischten sich die fettigen Finger an den Hosen und Jacken ab, die Büroler griffen zu den Servietten. Die Würste, die Georg zu wenden vergaß, sahen aus wie verkohlte Spielzeugbalken. Er verkaufte sie trotzdem; die Gesundheit seiner Kunden ging ihm nichts an. Er schaufelte blasses Sauerkraut in den in heißer Asche stehenden Eisenkessel; ab und zu stiegen Lasterfahrer auf die Bremse und holten sich einen Pappteller voll Würstchen, in ihn ihr Führerhaus verzehrten das Essen, bevor sie die Gegend wieder mit Dieselruß einäscherten.
Georg keuchte geräuchert, wenn der Wind in den Wagen drückte; längst zählte er nicht mehr die Bierbüchsen, die er nebenbei aussoff. Mit trockenen Semmeln hielt er sich halbwegs nüchtern.
Georg stank verbrannt, sein bauch war vollgespritzt mit schwarzen Punkten, Ascheflecken, Qualmflecken.
Es war eintönig, immer die gleichen Worte zu sagen, zu hören, Geld zu zählen das ihm nicht gehörte, nachzurechnen und
herauszugeben. Den ganzen Tag bekam er kein einziges Trinkgeld, keinen Dank; er kam sich vor wie ein mit allen Gliedern klappernder Hampelmann.  Wäre es nur um sein Leben gegangen, er hätte ein Feuerwerk veranstaltet, alles angesteckt und niedergebrannt. Bald brachte er nur noch mit Gewalt den Deckel der kasse zu, schätze mit verschleierten Augen den Inhalt ab, der sich silbern auf einem Fundament aus Scheinen türmte. Zur Feierabendzeit nahmen sich viele eine Wegzehrung mit, als könnten sie sonst den Rückmarsch an den heimischen Herd nicht bewältigen. Er hatte nochmal alle Hände voll zu tun; dann starb die Gegend aus. Auf einmal war er unter der windgewellten Plane allein.
Er fühlte sich wie einer, der sich woanders nicht auskennt, nirgends durchblickt, also genau paßt für solch eine hirnvergehende Arbeit.
Dann bog der Mercedes auf den Platz und bremste mit schleifenden Reifen.
Als er die Einnahmen gezählt hatte, sagte er anerkennend: "Nur weiter so!" Daraufhin handelte ihm Georg einen Vorschuß ab; er musste einen Zettel unterschreiben und bekam gerade soviel wie er an beiden Tagen ungefähr verdient hatte, recht wenig, fast nichts, gemessen an dem Haufen, den sein Chef einsäckelte.
"Morgen in alter Frische", sagte Tischlinger und fuhr davon in die allesumhüllende Dämmerung.
Als Georg nach Hause kam, stemmte er sich gegen den Klingelknopf.
Als Sybille öffnete, sah sie wie erschrocken aus. Seine Mutter stand im Fluhr. "Stör ich?", fragte er.
"Woher denn!", sagte Sybille. "Wie wars?"
"Wunderbar", sagte Georg. "Stellt Euch vor, ich bin schon Millionär. Ich kauf dem Hundhammer den Laden ab und dem Tischlinger seinen Wurstwagen dazu. Na, freut Ihr Euch nicht?"
Er zog den Vorschuß aus der Hosentasche und warf das Geld auf den Fußboden. Münzen sprangen in die Ecken des Flurs, die paar kleinen Scheine fielen langsam zu Boden.
"Könnt Ihr Euch teilen", sagte er.
Ich bin ein Arschloch. Ich gehör zugeschissen. Aber nicht auch noch von Euch.
Am nächsten Tag.
Die Plane des Imbisswagens sah von weitem aus, als flatterte ein zerfetzter Drachen im Wind.
Es war keine Täuschung. Die Plane war aufgeschlitzt worden, jemand hatte abgehaust, wie Georg es sich nie zugetraut hätte. Die Wagentür lag auf der Straße. Er genoß diesen Anblick, als betrachte er sein eigenes Werk. Alles Eßbare war fortgeschleppt, die Holzkohle über Kothaufen gestreut, im Kohlebecken schwamm rötlicher Urin....
Der Fahrer stieg erst gar nicht aus. "Warst Du das?, rief er.
"Leider nicht!" sagte Georg.

Ich geb` eine Party!

Erika saß direkt in der Zugluft der Schwingtüren, durch die Geschrei und Motorlärm dröhnte.
Ihr Kopf war ihr zwischen die Schultern gesunken. Schö, dachte Georg, bist nicht krank, nicht ausgetreten, hast nicht frei. Und sag nicht Nein, sag Ja.
Er stellte sich an den Schwanz der Schlange, die  vor der Kasse wartete. Bauernsippen aus den Dörfern hinter der Autobahn schritten einträchtig wie Marsmenschen durchs Gewoge; vor den Sonderangeboten rotteten sie sich zusammen. Georg zählte die Kunden, die vor ihm warteten. Erika sah kein einziges Mal auf. Mit der Hand wühlte sie die Waren auf dem Laufband auseinander, die andere ließ sie über die Tasten der Kasse springen. Ihre Fimger glichen heftig pickenden Vogelschnäbeln. Jedes Trumm mußte sie anfassen, zurechtrücken, damit sie den Preis lesen konnte. Sie war hübsch, sie war eine Schönheit, auf der linken Brust steckte ein Namensschild. 
Georg schaute jetzt nur noch auf ihr Gesicht. Er spannte die Wangenmuskeln zu einem Lächeln, schluckte eine Trockenheit hinunter. Erika ließ das Tranportband auf sich zurollen; erst als es schon eine ganze Weile leer lief, sah sie endlich hoch, halb an ihm vorbei.
"Horch, ich bins!" flüsterte er hastig. "Ich gebe eine Party! Heut abend! Kommst Du auch?"
"Möglich", sagte sie verwirrt. "Ruf mich an."
Georg hätte sich beinahe bedankt, sein Schädel taute, ihm war beflügelt zumute. Wie schwerelos schlurfte er dahin.
Erikas Stimme klang in ihm nach, ihre Worte nährten sein Herz. Er konnte fast nicht glauben, dass er Hoffnung haben durfte. Immerzu dachte er, sie kommt, sie kommt vielleicht, sie kommt zu Dir.
Tante, würde er zu Hause sagen, Großmutter, das ist sie, die Erika, da habt ihr sie, nehmt sie auf, geht zur Seite, sie macht mich zum Mann. Ist sie nicht schön? Ich werde mich anständig benehmen, aufwerksam, zurückhaltend. Gut, ich hab geilen Schund gelesen, mehr als einmal, es ging mir dabei nicht um Gesichter, ich bekenne auc, dass ich mich als Mann spür, aber es muss ja nicht gleich sein, wenn sich das Warten rentiert und nach dem freundlichen Kennenlernen die ganze große Liebe kommt wie ein wollusttolles Märchen.
Als er am späten Nachmittag zu seinem Fahrrad ging, hatte er noch keine Vorstellung, wie er die Zeit bis zum Abend totschlagen sollte. Für Erika hatte er eine Flasche Likör mit Waldmeistergeschmack besorgt; Wein Bier warendaheim, auch Chips und Sticks. Seine Tante achtete darauf, dass immer Knabbersachen im Haus waren, obwohl sie kaum Besuch erhielt.
Über den Hügel rollten Wolken, weiß wie Eis. Die Kälte des Sattels fuhr Georg in den Magen, der Wind sägte in seine Lider. Er zwang sich zu einer frohen, freien, heiteren Stimmung, hielt sich für einen ganz ausgekochten Burschen. Bald würde er glücklich sein.....
Kommst du zu meiner Party?
Und ob, Mann!
Hab ich auch gar nicht anders erwartet!
Wurde langsam Zeit für eine Einladung-oder?
Ach, weißt  du, ich hab erst die Körbe für meine anderen Freundinnen flechten müssen!
Meinen hab ich grad in die Wüste geschickt!
Mach dich hübsch und sexy!
Du wirst Augen kriegen, wenn ich antanz. Für dich begieße ich meine Netzstrümpfe mit Parfüm. Wegen die schmier ich mich mit Gleitkrem ein, überall! Du wirst es mir anständig besorgen?
Ich hab genug Übung! Baby, du machst mich ganz schön scharf!
Kinderspiel!
....."Dann soll mir von deinen Gästen erst recht keiner etwas nachsagen können", antwortete seine Tante, Sie würgte kurz und krachend, spuckte grauen Speichel in den Schnee.
 In seinem Zimmer machte er sich am Bett zu schaffen, kratzte Haare vom Kissen und breitete die Tagesdecke darüber, staubte den Plattenspieler ab, räumte die Schallplatten aus der Kiste und ordnete sie lässig, in gewolltem Durcheinander auf dem Bettvorleger. Dann rückte er Tisch und Stuhl zur Wand. Die Kommode schob er tiefer in die Ecke; auf der Kommode, neben der Vase mit Silberdisteln, baute er die Heizsonne auf. Als er sich umsah, wirkten im die Wände zu kahl. Mit einem Filzstift malte er mehrmals "LOVE" auf die Leinmfarbe: sein Handgelenk  gehorchte ihm nicht richtig. Georg war noch nie zu einer Party eingeladen worden. Sowas kannte er nur vom Hörensagen und aus Illustrierten: Partys auf Yachten und in alten Schlössern, die Gäste trugen Badeslip oder Bikini unterm Smoking, dem Abendkleid, die Töchter aus besten Haus flirteten mit den Leibwächtern ihrer Väter und tanzten zu Soulmusik und Reggae. Dass es auf seiner Party nicht so sein , nie so werden würde wußte Georg genau. Was er zu bieten hatte, war nicht vergleichbar mit Drinks unter Palmen an einem tropischen Starnd. Er spielte auch nicht Lotto. Er konnte Erika nicht mal fremde Sterne zeigen; die hier kannte sie alle. Er würde sagen; Meine Freunde kommen später, was möchtest du trinken, was möchtest du hören, hast du Hunger? Mach dirs bequem auf dem Bett, ich bleib am Boden. Und sie würde sagen, steh auf, komm zu mir mein liebster Schatz!
Er hatte Angst.  Auf einmal fand er seinen Einfall gar nicht mehr so gut.
Er traute sich nicht, weiterzudenken und schlatete das Radio ein.
"Früher ", sagte die Tante,  sind die jungen Leute Samstagabend auf den Tanzboden gegangen, haben sich nicht zu den Alten heimgehockt." "Bei einer Party ist das anders", sagte Georg.
"Red nicht russisch mit mir", sagte sie unwirsch.
Er ging hinüber ins  Wohnzimmer und schob sich einen Sessel an den Ofen. Georg fühlte sich elend beim Gedanken an den Abend; er wusste, dass er schlecht gelogen hatte. Statt der anfänglichen Begeisterung, mit der er sich seine Lüge hatte verzeihen können, brauste ein höhnisch hallendes Gelächter durch seinen Schädel. In seiner verzweifelten Einbildung ließ er das Telefon klingeln, dachte sich sein Gestammel fließend zurecht.
Mann, Puppe, na endlich! Hab mir gedacht, quatsch mal ein wirklich nettes Wörtchen durchn Draht. Hey, lach`dir doch einen Strich ins Gesicht! Wir haben draußen ein violettes Abendrot. Wir können ein Häppchen speisen, ein Schlücklein süffeln, ein liebes Nickerchen hinlegen. Sag endlich: Zu Befehl, Meister! Okay? Prima, Mensch! Mach dich auf die Stöckel, Baby, saus los!
Er fühlte sich schwach und alt.
Er suchte eine Frau.
Er wollte leben durch sie, mit ihr.
Wenn er ein Pärchen sah, das zärtlich war, umschlungen daherkam, sein glückliches Lächeln verschenkte, wurde er wütend, traurig, kam sich vor wie kurz vorm Tod. Sein Äußeres ließ ihn Zuschauer bleiben......, seine Träume rasen, drängen nach ewiger Fortsetzung. Es war ein grausames Wissen für ihn, noch mit keiner Frau geschlafen zu haben, aber mitreden zu müssen wie jemand, der durch Erfahrung abgehärtet ist. Manchmal war er ganze Sonntage auf seinem Zimmer geblieben, hatte gewichst, halb wahnsinnig, wie närrisch, damit er montags prahlen konnte, er hätte das Wochenende im Puff der fernen Großstadt verpennt, sich ein paar Weiber abgeneuttet. Niemand hatte ihm das gegenteil beweisen mögen. Seit Jahren zerlas er die immergleichen Bücher und Magazine, die von Riesenmösen und Elefantenpimmel handelten, blätterte sich immer wieder durch Eselsohren, studierte die kaputten Gesichter, die ramponierten Gestalten, und nach jeder Entladung graute ihm von den abgewrackten Ärschen, dem lila Gerunzel.
Er zählte sein Kleingeld, dann gab er sich einen Ruck und ging zur Telefonzelle, die ein paar Straßen weiter stand. Fast wünschte er sich, eine Wolke möge herabstürzen, ihn erschschlagen, eine Wolke vollgesogen mit Mondlich, dem Gewicht der Nacht. Er wählte, ein Mann hob ab, ihr Vater, rief sie an den Apparat. Georg glaubte, ihrem Atem zu spüren.
"Ja", sagte sie.
"Ich bins", sagte er.
"Wer?"
"Georg", sagte er, "Bleistein"
Es war, als würde er auf der anderen Seite des Erdballs träumen.
"Achso", sagte  sie.
"Ich wollte nochmal fragen, ob ich mich auf dich verlassen kann."
"Wer kommt alles außer mir?", fragte sie.
"Oh ein ganzer Haufen, lauter gute alte Freunde. Zugesagt hat jeder", fuhr er fort.
"Um Acht?", fragte sie.
"Paßt", sagte er.
"Bis dann" sagte sie......
Georg vergaß, sich zu bedanken. Auf dem Heimweg versuchte er, sich Erika vorzustellen, aber die Kälte betäubte sein Geschlecht. Er hatte keine Übung. Er war nicht der Draufgänger, nicht der ungestüme Vergewaltiger, der anzügliche, leichtfertige Plauderer.
Als es auf Acht zuging, musste er sich wohl oder übel in seiner Tracht den beiden Frauen (Tante und Großmutter) zeigen. Wie erwartet, fielen sie über seinen Aufzug her, obwohl sich auch die Großmutter ausstaffiert hatte und in einem lappigen Kostüm vor sich hinfror. Daran, dass sich beide Frauen umgezogen hatten, merkte Georg, dass sie ihm und Erika Gesellschaft antun würden, und das behagte ihm ganz und gar nicht. Noch niemals zuvor war ihm beider Anwesenheit unerträglicher erschienen. Er wünschte ihnen die Schlafkrankheit ins Blut, ein ihr Maulwerk lähmendes Gift.
"Geht ihr aus?" fragte er grimmig und blickte böse auf die beiden Gestalten herab, die sein Warten beobachteten und ihn mit einer Seelenruhe zermürbten.
"Wir möchten Deine Freunde kennenlernen", sagte seine Tante.
Beide machten gewichtige Gesichter und rührten sich nicht von ihren Plätzen. Die Tante horchte sogar auf das Ticken der Uhr. Georg stürmte in die Küche, um sich ein Bier hineinzujagen, in einem trügerischen Nebel fortzuschwimmen. Fast hätte er eine riesige Platte voll Wurst- und Käsebrote auf dem Küchentisch gerammt; der Anblick dieser sinnlosen Menge stimmte ihn vollends kopflos. Er schraubte die die Flasche Waldmeisterlikör auf, die für Erika gedacht war: das Zeug klebte süß, verwesend, er trieb es mit einem Bier hinunter.
Längst war es acht Uhr vorbei. Die beiden Frauen betrachteten ihn mitleidig, wenn er Zigaretten verschlang. Er jedoch fühlte sich fast schon befreit, gewann zaghaft die Überzeugung, dass Erika vielleicht nicht kommen würde. Fast war er froh.
ALS es dann auf Neun zuging, schellte es.
Der Ton zerfetzte seine aufgesetzte Gleichgültigkeit. Georg hastete zur Haustür, hörte noch seine Großmutter "Da kommen sie, sie kommen!" rufen und sah durch die Milchglasscheibe Erikas verwischte Gestalt. Er schluckte trocken, als er aufschloß und die Klinke drückte.
"High life?" fragte sie, kratzte auf dem Fußabstreifer
"Komm rein, sagte er mühsam und zog ihr den Mantel herunter.
Die Verwandtschaft erschien mit vorgestreckten Händen.
"Erika", stammelte er, "meine Tante, meine Großmutter!"
"Wohinß", fragte Erika.
"Hier herein, Fräulein, in die gute Stube", sagte die Tante.
Alles verschwamm. Hinterher wußte Georg nicht mehr, wer wem Platz angeboten hatte; er fing mit der Bewirtung an.
"Bin ich zu spät gekommen oder zu früh?", fragte Erika. Sie zog eine Zigarette aus dem Päckchen, das ihr Georg entgegenhielt, brach den Filter ab und rauchte schnappend.
"Weder noch", sagte Georg.
"Wir warten auf die anderen", sagte seine Tante.
"Haben sie Hunger?", fragte die Großmutter.
Erika kam nicht aus dem Neinsagen und Kopfschütteln heraus, das ihr, wie ihm schien, geradezu abverlangt wurde. Nach einer Pause, in der alle hüstelten und schnieften, ergriff er verlegen das Wort, sagte: "Ich weiß auch nicht, ich warte, aber die lassen sich alle Zeit, kommen einfach nicht, in der Freizeit ist man nicht gern so pünktlich, nicht wahr?"        
Erikas Beine waren bis zu den Knien in zotteligen, tropfenden Fellstiefeln versteckt. Wie flauschige Kloben ruhten sie auf den teppich. Eine weiße Hose spannte sich um ihre auseinandersteheden Schenkel. Ihr Schoß war unter einem Pullover verborgen, der Georg vorkam wie ein verfilztes Netz, das auch die Brüste plattdrückte. Ihr Gesicht brauchte Schlafm, ihre Augen Erholung; sie hätte schön sein können, wenn sie tagsüber geschont worden wäre.
Erika ließ sich nichts anmerken. Er bot ihr nochmal eine Zigarette an; sie vergaß sie im Aschenbecher. dann holte er den grünen Likör und füllte vier Gläser. seine Großmutter wollte  mit jedem anstoßen, seine Tante erzählte, wieviel Zeit es koste, so viele Brote zu bestreichen. Und natürlich fand er nichts Passendes im Radio. verzweifelt drehte er an den Knöpfen. Erika nippte an ihrem Glas; dann stellte sie es weit von sich.
Er konnte ihr nicht zur Hilfe eilen, ihre steife Haltung in einer Umarmung mildern, konnte ihren fragenden Blicken nicht standhalten, brachte nur ab und an ein Lächeln zustande mit knirschenden Zähnen, anschwellendem Kiefer, das nichts nützte, nichts änderte.
"Geht die Uhr wirklich richtig?", fragte sie.
"Wie lange kennen Sie denn unseren Georg schon?", fragte seine Tante.
"Überhaupt nicht!", sagte Erika und lächelte sie aus.
Wolken sanken von der Decke herab, Nebel stieg vom Teppich auf. Er schleppte die Platte mit den belegten Broten herein, aber Erika dankte ab, er stieg in den Keller und kam, den Hals einer Flasche Edelschaumwein umklammernd zurück, sagte wild: "Zur Feier des Abends!" holte Sektkelche, schoß den Korken in die Brote, schenkte tüchtig ein und soff Ex. Danach war es ihm, als könnten sie sich vielleicht doch noch alle prächtig miteinander vertragen.
"Auf unser Wohl!", sagte er matt. "Warum trinkt ihr nicht? Schmeckt wie Sekt! Prosit!" Dann fragte er Erika, welche Musik ihr denn so gefalle. Sie zählte die Namen einiger Schlagersänger auf, die ihm vom Hörensagen bekannt vorkamen, von Großmutter und Tante erfreutem  Nicken als berühmte Persönlichkeiten bestätigt wurden.
Stockend erzählte er von seiner Plattensammlung, oben in seinem Zimmer, fragte ob Erika sie anschauen möge. Sie grinste wissend und ablehnend. Georg packte die Flasche Likör, in einer Aufwallung von Trotz ging er zur Tür. Erika folgte ihm.
"Nicht unter meinem Dach!", sagte da die Tante.
Georg kehrte auf dem Absatz um, schob Erika sacht beiseite, ohne zu bemerken, dass er sie zum ersten Mal berührte, wenn auch nur mit der geballten Faust, war mit einem Schritt am Tisch und gab ihm einen Tritt, dass die Gläser umstürzten.
"Das ist mein Fest!", sagte er. "Das feier ich, wie es mir paßt. Sie ist mein Gast, meiner, ich bin kein Kind mehr, wir gehn jetzt auf mein Zimmer." Es war schwer für ihn, den Trotz durchzuhalten. Er hatte sich endlich aufgebäumt, einen Angriff gewagt, wie er ihm im Traum nicht eingefallen wäre, hatte bewiesen, dass ein Mann sein recht verlangen konnte, verlegen zwar, doch ernst genug und mit Nachdruck.
Das Gesicht seiner Tante war in Würde erstarrt. Seine Großmutter zeigte sich eingeschüchtert; ihre Finger krampften sich ins nasse Tischtuch.
"Warten wir lieber, bis Deine Freunde kommen", sagte Erika.
"Nein!" erwiderte er schroff.
"Frau Bleistein", sagte Erika einlenkend, "es dauert  nicht lange".
"Meine Tante heißt Götz!", sagte Georg.
"Und ich Erdner!", sagte seine Großmutter. "Gib den Buben seinen Willen, Meta, in Gottes Namen."
Draußen im Flur deutete Georg die Treppe hinauf. Auf halber Höhe sagte Erika ohne sich umzudrehen: "Hör mal, welche Scheißrolle spiel ich da in dem Saustall?"
"Sonst sind sie nicht so", sagte er.
Ihr Schlüpfer zeichnete sich durch die weiße Hose ab. Prall ragte ihm ihr Gesäß ins Gesicht.
"Ich möchte wissen, was hier eigentlich läuft", sagte Erika.
"Theater kann ich auch daheim haben."
"Es tut mir leid", sagte er, "denk nicht daran!"
In seinem Zimmer machte er Licht, zündete eine Kerze an, knipste das Licht wieder aus; Erika blieb mitten im Zimmer stehen. Er legte eine Platte auf, "Having a Party", las er von der Hülle ab, "Third World". Sie sah sich um, furchtsam fast, er drückte ihr ein Glas Likör in die Hand, sagte: "Da haus ich!" Dann hockte er sich aufs Bett. Er hörte kaum Musik, so schlug ihm das
Herz. "Gefällt die sowas?", fragte sie. "Ist aus Jamaika!", sagte er.
"Da schrein ja die Affen schöner", sagte sie und schaute angeödet auf das Gekrakel an den Wänden. "Love" buchstabierte sie. "Amore", fügte sie nach einer Weile hinzu, "Fickificki, hm? Bist Du kein Deutscher?"
Sie kniete sich auf den Bettvorleger und wühlte die Plattenhüllen durch. Jetzt fielen ihre Brüste vor, und Georg träumte seine Hände in ihren Nacken, der durch die Haare schimmerte.
"Nichts für mich!" wiederholte sie ständig und suchte weiter. "Nichts! Rein gar nichts! Lauter Negermusik! Wie in der Disco! Ich kann nichts finden!"
Sie stand auf. Georg rückte zur Seite; sie setzte sich nicht neben ihm, ging auf und ab.
"Willst du hier tanzen?" fragte sie. "Du hast einen Geschmack wie ein Bananenlutscher! Lauter Krampf! Lauter Glump!"
Er wusste nicht, ob ihr verächtliches Gehabe, ihr entrüstetes Getue echt waren oder nur gespielt. Er wollte sich auch nicht dagegen wehren, er schwieg lieber.
"Warst du bei der Bundeswehr?", fragte sie.
"Untauglich - gewesen", sagte er.
"Weißt du, ich mag Soldaten, weil das nämlich Kavaliere sind. Magst du Fußball?" "Nicht so", sagte er vorsichtig.
"was magst du dann?"
"Naja", sagte er, "da muss ich erst mal nachdenken, Musik hör ich gern, manchmal les ich ein Buch, ab und zu geh ich Essen, ins Kino selten, naja, was man halt so macht. Und du?"
Sie ruckte mit den Achseln. "Es ist nichts los hier", sagte sie dann. "Die Disco, das ist aber auch schon alles. Und die Arbeit, die reicht mir. Ich hätte gedacht, du bringst ein bisschen Leben in die Bude, ein bisschen Jubel, Trubel ein paar Runden Tanz, meinetwegen einen Knutscher in Ehren. Stattdessen hängst du rum wie ein Wurm, wie so ein kranker. Du kannst bald allein warten! Wann kommen deine Leute?"
"Vielleicht gar nicht", flüsterte er plötzlich.
"Was soll das heißen: vielleicht gar nicht?"
"Vielleicht haben sie erfahren, dass ich dich eingeladen hab", sagte er.  "Ich finds so ganz gut!"
"Gut? Was gut? Wie gut? Du willst doch nicht sagen, dass es keine Party gibt, dass das ein Bluff war, ein Trick von dir? Für was hältst du mich? Was bildest du dir überhaupt ein? Warum hast du deine Fete nicht  gleich im Altersheim gemacht? Ich geh!"
"Du hast mir gefallen", sagte Georg.
"Du Pfeife!", sagte sie. "Dein Kompliment ist fast schon eine Beleidigung."
Er verstand nicht und sah sie ratlos an.
"Weil es von dir kommt", sagte sie, "von so einem wie dir, drum ist es mir nichts wert!"
Er ließ sich vom Bett sinken und sammelte die Schallplattenhüllen ein.
"Weißt du, was mich wundert?",  fragte sie. "Dass du mir keine Märchen vorgelesen hast!"
"Mach Licht!", sagte er. Dann blies er die Kerze aus.
"Die beiden alten Weiber haben dich ganz schön am Arsch, mein Lieber", sagte sie. "Um eins möcht ich dich wirklich bitten: laß sie bloß nicht in dem Glaube, wir hätten etwas miteinander gehabt! So einer wie du, davon könnt ich mit Leichtigkeit zehn Stück an jeden Finger kriegen."
Er kam nicht gegen die Vorstellung an, ihr die Hände abzuhacken, die glasweißen Stümpfe in Ketten zu schmieden, sich an ihr vergehend seine Liebe zu erklären. Dann dachte er, ich möchte dein Haar in Honig baden, deine Haut  mit Zucker pudern, einfach gut sein. Er hätte es sich gerne gefallen lassen, wenn sie ihn mit ihren Füßen gestreichelt, mit ihren Zehen gekrault hätte. Natürlich wußte er aus Büchern  und Filmen von der sanften Gewalt, die immer dann angewendet wurde, wenn es galt, gespielten Widerstand zu brechen, nur er war nicht fähig dazu. Er hätte sich schon im Türrahmen verkeilen müssen, um Erika dabehalten zu können.
"Ich bring dich hinunter", sagte er. "Schön dass du gekommen. Es hat mich gefreut." Er sagte das laut, die Treppe hinab; die beiden Frauen im Wohnzimmer sollten es hören.
Im Flur zerrte er ihren Mantel vom Haken und warf ihn ihr vor die Füße.
"Hau ab!", sagte er. Es klang wie eine Bitte.
Erika verabschiedete sich nicht, von niemanden.
Er stelle sich vor, im Grab zu liegen, den Sarg noch offen, und oben am Rand, da steht sie, von seinen tausend Freunden getröstet, und ein Tonband spielt "Burn it down" von "Dexys Midnight Runners", ganz laut die Orgel, die weinende Stimme, und er ist der allerglücklichste Tote.


Bäcker oder Konditor,

hatte er damals auch nicht werden wollen, Metzger erst recht nicht, also machte er einen Maurer, wie Onkel Simon einer war.
Das viele Bier war das beste an der ganzen Arbeit, jeder Tag ein Trinkfest.
Dass er nicht schwindelfrei war, verleidete ihm den Beruf. Wenn er aufs Gerüst geschickt wurde, kniete er oben auf den Bohlen, dei sich schaukelnd durchbogen, und kam sich vor wie ein abstürender Vogel im Wind.

 
 

          
   


     



Dezember 2006

Der Herbst der ein Sommer war, der Winter der ein Herbst ist.
Ich liebe dieses Zischen, Pfeifen, und Knallen, das Heulen der Raketen, der Geruch von Schwefel,
das Zündeln, die Erwartung an den Abend, die manchmal viel zu groß gesteckt ist.
Auf die Frage; wer kommt denn alles, kann man kaum etwas antworten, was will er hören, die
und die, dann die noch. Keiner kommt, ist auch nicht schlimm so.
Es kommt keiner mehr, weil keiner mehr kommt. Macht jeder fein sein Süppchen, der andere
spielt da keine Rolle mehr.

Als ich dort saß kam die Katze, die dort jeden Tag ihr Fresschen bekommt. Man muss die ein
Leben führen, diese Kälte, nun ja es ist ja eher feucht, aber trotzdem, schön muss es für das
Kätzchen nicht sein.
  
Genauso wie mit “meine” Spatzen und der Taube, nun ist nichts mehr mit                    
Sonnenschein, kein sonnen in der Sonne, ein Überlebenskampf ist es jetzt vielmehr.
Aber die Sonne kommt wieder, bestimmt. Bis sie irgendwann mal nicht mehr aufgeht, für den
ein oder anderen. Die Sonne ist sowieso nicht mehr das was sie mal war. Keine kommende Wärme
mit Sonnenstrahlen, keine langsamen Übergänge, nein da kommt plötzlich knüppelhart
der Wetterumschwung, das es einem fast aus den Socken holt.
Dann kaum genossen und schon vorbei, keine Zeit, von einem Zahltag zum nächsten, dazwischen
wie bei den Spatzen (Tieren) im Winter, ein Überlebenskampf.
Termine mal gemacht, da muss man aber auch Glück haben, Telefonate, Handys und die ganze
Nerverei. Terminplaner, dennoch wird man vergessen, rücksichtslos, gnadenlos.

Diese Tischfeuerwerke, in diesen bunten Pappdöschen, bedruckt mit schönen Frauen, Geld,
Kleeblätter, Schornsteinfeger, mit Partys wie man sie sich wünschte. Der obligatorische Teller
darunter, das vorsichtige anzünden, dann das in Deckung gehen, im Kopf die Wünsche und
Gedanken fürs nächste Jahr, was wird es bringen....., dann der Knall. Das Suchen am Fußboden,
meistens nur kleines Nippes und als Dankeschön oben drauf stickt es nach Scheiße.
Toll diese Tischfeuerwerke.
Man ist das eine Gesellschaft, so viel Ellenbogen kann es doch gar nicht geben.
Der Duft von ihr erfüllt noch den Raum, der Duft der schönsten Parfüms, Cremes, nun erfüllt
die Stille den Raum, die Einsamkeit, die Dunkelheit, passend zum Wetter. Aber der Frühling
kommt wieder, die Sonne wird wieder strahlen, die Wolken tiefblau vom Himmel strahlen.



Allen, auch die nicht an mich denken, weil sie zu viel zu tun haben, so arg beschäftigt sind, die mir
nicht schreiben, die nicht großartig mit mir reden, die mich nicht sehen, die mich nicht grüßen, die mich
nicht mögen,die mich ausgenutzt, die mich hassen, die etwas besseres sind, die klüger und erfolgreicher
dastehen, die
alles nur gespielt, aber vor allem diejenigen die viel an mich gedacht, die viel für mich getan,
die mich geliebt haben wünsche ich ein erfolgreiches neues Jahr 2007!

Scott Lakewood  31.12.2006


                 Morbus Menière

 

Von Dr. med Eberhard Biesinger
Facharzt für HNO-Heilkunde

Bei der Menièr´schen Erkrankung handelt es sich um ein fest umschriebenes Krankheitsbild mit den Symtomen Druckgefühl im Ohr, Drehschwindel über Stunden einschließlich Erbrechen und zunehmender Schwerhörigkeit des betroffenen Ohres. Eine Variante des Morbus Menière ist das sogenannte Lermoyez-Syndrom, wobei die Patienten während des Drehschwindelanfalles eine Hörverbesserung beschreiben. Die genaue Ursache des Krankheitsbildes ist nicht bekannt, jedoch ist man sich heute sicher, daß die Auslösung der Schwindelanfälle und auch die Ursache der Schwerhörigkeit in einem sogenannten Hydrops des Innenohres, also einer pathologischen Druckerhöhung der Innenohrflüssigkeit zu suchen ist. Da man diese Pathomechanismen hierfür sehr gut kennt, besteht ein klares Konzept zur Behandlung des Morbus Menière. Oft beginnt die Krankheit mit einer Störung im Tieftonbereich und dem Anzeichen von Ohrdruck, bis dann die ersten Schwindelanfälle auftreten. In diesem Stadium besteht die Therapie aus der Anwendung bestimmter Medikamente (Betahistidin, z.B. Aequamen(r)) und der kurzzeitigen Anwendung von wassertreibenden Medikamenten (Diuretika). Ist damit ein Sistierten der Schwindelanfälle nicht zu erreichen, kommt der hörerhaltende operative Eingriff, die sogenannte Saccotomie in Betracht.

Der sogenannte Saccus endolymphaticus bildet das Wasserreservoir des Innenohres. Dieses Reservoir liegt eingebettet im Knochen hinter dem Ohr und diese knöcherne Einbettung spielt bei der Krankeit des Morbus Menière eine besondere Rolle: das Wasserreservoir kann sich bei Druckerhöhung nicht ausdehnen. Das Prinzip der Operation besteht darin, diesen Saccus endolymphatikus aufzusuchen und ihn von seiner knöchernen Schale zu befreien.

Diese Operationstechnik verlangt aber eine spezielle Ausbildung, da es nicht einfach ist, die Struktur aufzufinden und zu identifizieren. Wird die Operationstechnik jedoch beherrscht, handelt es sich um einen ungefährlichen Eingriff, der die Schwindelanfälle zu erliegen bringt und mit etwas Glück sogar zu einer besseren Hörfähigkeit des betroffenen Ohres führt. Die Problematik dieser Operatonstechnik hat in der Wissenschaft zu heftigen Diskussionen geführt. Es gibt viele Ärzte, die den Erfolg dieser Operation anzweifeln. In Deutschland wird die richtige Operationstechnik nur noch von wenigen Schulen beherrscht und gelehrt.

Nur in seltenen Fällen wird als weitere Maßnahme die Zerstörung des Gleichgewichtsnerven mittels Einbringung einer toxischen Substanz (Gentamycin) in das Mittelohr oder der Durchtrennung des Gleichgewichtsnerven (selektiven Neurektomie des Nervus Vestibularis) durchgeführt. Diese beiden Verfahren, ob medikamentös oder operativ, bergen die Gefahr einer Hörverschlechterung oder gar Ertaubung durch die Therapie selbst in sich. Sie beeinflussen auch nicht das pathophysiologische Geschehen der Druckerhöhung im Innenohr. Sie behandeln lediglich die Auswirkungen dieser Druckerhöhung nämlich die Schwindelanfälle. Auch nach diesen Maßnahmen wird es weiterhin zu einer zunehmenden Verschlechterung des Gehörs kommen. Dieser Umstand muß bei der Auswahl der Therapiemaßnahmen beachtet werden. Neben diesen Grundprinzipien der Behandlung des Morbus Menière spielen wie bei allen Innenohrerkrankungen ernährungsphysiologische Überlegungen eine Rolle, also gesunde Ernährung, kein Nikotin, eher salzarme Ernährung und die Diagnostik und Behandlung von Störungen der Halswirbelsäule und der Kiefergelenke. Eine sehr wichtige Rolle spielt die psychologische Betreuung und Behandlung: der Menière-Patient ist infolge der überfallartig einsetzenden Schwindelanfälle entsprechend verängstigt. Aus Sorge, diesen Zustand in der Öffentlichkeit zu erleiden, vernachlässigen fast alle Menièrepatienten ihr soziales Leben und ziehen sich zurück. Vereinsamung, Unsicherheit und Ängste sind die Folge. Nach einer geglückten medizinischen Behandlung mit Beseitigung der Drehschwindelanfälle bleiben diese Probleme oft zurück. Der Patient selbst kann sein Befinden dann meist nicht richtig ausdrücken, für ihn besteht weiterhin eine Unsicherheit, die gerne auch als "Schwindel" dargestellt wird. Dieser "Schwindel" ist jedoch unbestimmt und ganz anders als der für die Menièr´sche Krankheit typische Drehschwindel! Er ist Ausdruck der genannten Unsicherheit im psychischen Bereich und nur gut zu verstehen, da die Patienten oft jahrelang diesen als lebensbedrohlich empfundenen Attacken ausgesetzt waren. Aus diesem "Restzustand" nach Beseitigung der Drehschwindelanfälle resultiert nicht selten der Eindruck, die medizinische Behandlung hätte "versagt". Eine genaue Analyse der Symptome und eine psychologische Diagnostik durch speziell für diese Thematik geschulte Psychologen zeigt die Problematik schnell und gibt klare Handlungsstrategien, damit der Patient wieder zu einem normalen, unbeschwerten Leben im privaten und beruflichen Bereich zurückfinden kann. Um das individuelle Stadium der Erkrankung zu diagnostizieren und entsprechende Behandlungsschritte einleiten zu können, ist meist ein kurzer (ca. 10-tägiger) stationärer Klinikaufenthalt sinnvoll. Sind dann die richtigen, d.h. stadiengerechten Therapieschritte eingeleitet, kann der Patient sicher zum Therapieziel geführt werden: dem Leben ohne Schwindelanfälle! Eingebettet in die Therapie der Drehschwindelanfälle ist die Behandlung und Betreuung des oft lästigen Tinnitus, dem die Patienten in mehr oder weniger ausgeprägter Form ausgesetzt sind. Erfreulicherweise haben sich auch bei der Therapie des chronischen Tinnitus viel getan. Mit der Einführung der sogenannten Retrainingtherapie sind Behandlungskonzepte entstanden, die zwar keine Beseitigung des Tinnitus versprechen können, jedoch das Ziel, nämlich die Verringerung der psychischo-akustischen Belastung durch das Ohrgeräusch, in den meisten Fällen erreichen können! Wertvolle Hilfsmittel sind dabei sogennnte Tinnitusmasker und bei gleichzeitiger Schwerhörigkeit der Einsatz von Hörgeräten. Auch die Patienten organisieren sich: sowohl für Patienten mit Tinnitus, als auch für Patienten mit Morbus Menière steht die Deutsche Tinnitusliga mit viel Information und Selbsthilfe zur Verfügung.

Schwindel


Meniersche Krankheit (Morbus Meniere)>>> Texte aus dem Internet!

Die Meniersche Erkrankung wurde erstmals 1861 vom franz. Ohrenarzt P. Meniere beschrieben. Bei der Menierschen Erkrankung handelt es sich um das anfallsweise Auftreten von Ohrgeräuschen, Hörminderung, Schwindel, evtl. Übelkeit und Erbrechen. Ein typischer Meniereanfall setzt akut ein, die Beschwerden können Stunden bis zu Tagen anhalten u. bessern sich langsam. Typischerweise treten die Anfälle 1-2x jährlich auf, das Anfallsmuster weist allerdings eine große Variation auf: Es gibt Personen die nur einige Anfälle in ihrem Leben erdulden müssen, ohne dass eine bleibende Schwerhörigkeit bleibt. Bei anderen Erkrankten verläuft die Erkrankung oft schubweise über Jahre hinweg, wobei sich das Hörvermögen anfänglich weitgehend erholt, im Laufe der Zeit bleibt aber meist auf dem betroffenen Ohr eine mittel-bis hochgradige Schwerhörigkeit bestehen bleibt.

In ganz wenigen Fällen gibt es schwerere Krankheitsverläufe, d. h. es kommt zu sehr häufigen Meniereanfällen (z. B. im Abstand von wenigen Tagen bis Wochen), dauernden Gleichgewichtsstörungen und stark ausgeprägter Schwerhörigkeit.

Normalerweise ist nur ein Ohr betroffen, in relativ seltenen Fällen auch beide Ohren.


Ursache der Menierschen Erkrankung

Das Innenohr ist flüssigkeitsgefüllt, es besteht aus zwei Flüssigkeitsräumen, die mit Perilymphe und mit Endolymphe gefüllt sind. Bei der Menierschen Erkrankung kommt es zu einer Störung der Elektrolytzusammensetzung beider Flüssigkeiten, dadurch ist die osmotische Druckregulierung insbesondere in der Endolymphe gestört, es kommt dadurch zu einer Druckerhöhung im endolymphatischen System. Hier liegen die Sinneszellen, die für die Registrierung von Schallwellen wieauch von Gleichgewichtsstörungen zuständig sind. Diese werden durch die Elektrolytverschiebungen sowie durch die Druckerhöhung in ihrer Funktion beeinträchtigt und führen so zur Hörstörung sowie zur Gleichgewichtsstörung.

Leider sind die genaueren Hintergründe dieser Erkrankung immer noch nicht bekannt, dementsprechend ist es schwierig, eine gezielte Behandlung dieser Erkrankung durchzuführen.

Die ersten Meniereanfälle sind oft relativ milde, so dass sie anfänglich nicht eindeutig als Meniereanfälle erkannt werden können. So kommt es oft nur zu einem leichten Ohrgeräusch, manchmal verbunden mit einer leichten Einschränkung des Hörvermögens, meist im Tieftonbereich. Dies wird anfänglich oft als milder Hörsturz verkannt, erst rückblickend nach Jahren zeigt sich, dass dies das erste Auftreten einer Menierschen Erkrankung war. Andere Patienten weisen lediglich einen Schwindel auf, der an den plötzlichen Ausfall eines Gleichgewichtsorgans denken lässt (Neuropathia vestibularis). Wieder andere Patienten weisen sämtliche Symptome eines Menierschen Anfalls auf (Ohrgeräusche, Hörminderung, Gleichgewichtsstörung), allerdings in derart abgeschwächter Form, dass sie gar nicht genau formulieren können, was ihnen eigentlich fehlt. Sie geben dann oft an, etwas unsicher zu sein und einen leichten Druck auf dem Ohr zu haben.

In diesem Stadium ist die Meniersche Erkrankung kaum zu erkennen.


 

Behandlung des Morbus Meniere

Eine klare, eindeutige und sicheren Erfolg versprechende Behandlung der Meniere´schen Erkrankung existiert nicht. Es existieren zahlreiche Therapievorschläge, einige Eckpunkte der Behandlung sind im folgenden dargestellt.

Im akuten Anfall steht die Übelkeit und das Erbrechen im Vordergrund, hier ist kurzfristige Bettruhe und die Dämpfung dieser heftigen Beschwerden z. B. mit Vomex-Zäpfchen sinnvoll. Möglichst bald sollten jedoch die körperlichen Aktivitäten wieder aufgenommen werden, um die zentralen Kompensationsvorgänge zur Unterdrückung des Gleichgewichtstörung zu fördern (siehe oben).

Daneben werden Infusionen mit durchblutungsfördernden Substanzen verabreicht, oft werden auch verschiedene dieser Substanzen in Tablettenform angeboten, z. B. Trental bzw. Pentoxifyllin.

In den letzten Jahren wurde oft auch versucht, mit einer hyperbaren Sauerstoffbehandlung (HBO), also einer Behandlung mit Sauerstoff in einer Überdruckkammer, eine Besserung zu erzielen. Die Ergebnisse sind umstritten, diese Behandlung scheint sich im Rückzug zu befinden.

Sehr beliebt ist die Behandlung mit Betahistin in Tablettenform (Melopat, Aequamen, Vasomotal). Diesem Präparat wird zugeschrieben, die Häufigkeit, die Dauer und die Stärke von MeniereAnfällen zu beeinflussen.

In schwersten Fällen und bei mangelndem Ansprechen auf konservative Therapiemaßnahmen kommen als äußerste und letzte Maßnahmen auch operative Verfahren in Betracht:

indbul2a.gif (311 Byte)Transtympanale medikamentöse Zerstörung der Sinnesendstellen des Vestibularorgans mit Gentamicin (chemische Labyrinthausschaltung). Dabei wird ein winziger Schlauch hinter das Trommelfell gelegt und täglich Gentamycin in das Ohr eingegeben. Bei richtiger Dosierung werden letztlich die Gleichgewichtsorgane dieses Ohres zerstört und können keine Ausfälle mehr auslösen.

indbul2a.gif (311 Byte)Operaive Eröffnungen des Innenohres mit Druckentlastung des endolymphatischen Systems (Saccotomie, Saccusdekompression, Vestibulotomie)

indbul2a.gif (311 Byte)Operative Entfernung des Gleichgewichtsorgane eines Ohres oder Durchtrennung des Gleichgewichtsnerven (Labyrinthektomie, Neurektomie des N. vestibularis)

All diese operativen Maßnahmen haben den Nachteil, das betreffende Ohr mehr oder minder stark zu schädigen oder gar zu zerstören. Sollte dann später die Menieresche Erkrankung auf dem anderen Ohr auftreten (glücklicherweise sehr selten, aber durchaus möglich!!!), so besitzt die entsprechende Person bei stärkerer Ausprägung der Meniere´sche Erkrankung kein funktionierendes Gleichgewichtsorgan und möglicherweise kein sinnvolles Hörvermögen mehr. Operative Maßnahmen bleiben daher die absolute Ausnahme!!!



                                               Drehschwindel (Morbus Meniere)

Viele Menschen kennen die plötzlichen Schwindelgefühle. Und es gibt viele Ursachen, wie zu niedriger Blutdruck, Müdigkeit, Unterzuckerung, möglicherweise ein Vorbote für einen Schlaganfall oder eine Innenohrentzündung, denn da befindet sich auch das Gleichgewichtsorgan.
Eine häufige Ursache für Drehschwindelattacken ist der sogenannte 'Morbus Menière', erstmals im vorigen Jahrhundert von dem französischen Arzt Prosper Menière beschrieben. Neben den anfallartigen Drehschwindelattacken treten Ohrensausen und Schwerhörigkeit auf. Die Attacken dauern meist von einigen
Minuten bis zu einigen Stunden, und die Symptome treten typischerweise nur einseitig auf. Die Anfälle können durch psychischen Stress ausgelöst werden und belasten den Patienten sehr. Ein Menière-Patient traut sich kaum noch auf der
Straße aus lauter Angst vor dem nächsten Schwindelanfall!
Die Krankheit entsteht durch eine Flüssigkeitsstauung im Gleichgewichtsorgan, im Labyrinth.
Ein Menière-Patient hat während des Anfalls einen sogenannten Nystagmus. Die Augen bewegen sich dann hin und her, und zwar langsam hin und schnell zurück.
Normalerweise tritt ein Nystagmus nur auf, wenn wir einem sich bewegenden Gegenstand, einem vorbeifahrenden Zug z.B., mit unseren Augen folgen. Die Augen bewegen sich mit dem Zug mit, springen dann schnell zurück und bewegen sich wieder mit.
Die Augen folgen den sich bewegenden bunten Pünktchen, springen zurück, folgen wieder, springen zurück, usw. Diese Augenbewegungen nennt man 'Nystagmus'.
Wenn ein Nystagmus spontan auftritt, ohne daß wir auf etwas sich Bewegendes schauen, entsteht der Eindruck, daß sich unsere Umgebung bewegt. Es entsteht ein Drehschwindelgefühl.
Nun, was kann man dagegen tun?
Wichtig ist das Abbauen von Stress. Man soll versuchen, ein bißchen zur Ruhe zu kommen. Und man sollte auf Zigaretten, Kaffee und Alkohol verzichten.
Die Therapie der Menière- Krankheit besteht einerseits aus Mitteln, die gegen Schwindel wirken und andererseits Mitteln, die die Durchblutung verbessern. Eine drastische Maßnahme ist das Antibiotikum Gentamycin, das den Druck auf das
Gleichgewichtsorgan im Innenohr verringert. Aber Vorsicht! Es kann zu einem bleibenden Hörverlust führen!
Ein Trost ist, daß die Erkrankung oft spontan heilt - bei 90% sind alle Symptome nach 5 Jahren verschwunden.


      

                                                             Morbus Menière

Erstbeschreiber war 1861 der französische Arzt Prosper Menière. Die Menière'sche Krankheit tritt am häufigsten zwischen dem  40. und 60. Lebensjahr auf, kann aber auch jüngere Menschen betreffen. Die Inzidenz  beträgt zwischen 17 und 350 pro 100 000 und Jahr. In speziellen Schwindelambulanzen mach das Syndrom etwa 7% der Schwindelpatienten aus. Man nimmt nach Untersuchungen an, dass etwa 0.2% der Bevölkerung an dem Syndrom leidet, auf Grundlage von Fehldiagnosen aber etwa 10x so viele der Auffassung sind, an dieser Erkrankung zu leiden. Bei jedem 5. gibt es eine positive Familienanamnese, so dass eine genetische Komponente für möglich gehalten wird. Vorausgegangene Virusinfekte, Allergien, Rauchen, Stress, Übermüdung, Alkoholmissbrauch und die Einnahme von Aspirin begünstigen möglicherweise das Auftreten eines Menière'schen Syndroms.  Akute Episoden des M. Menière treten meist in Clustern (Episoden mit häufigen Anfällen) mit einer Frequenz zwischen 6-11 Cluster pro Jahr auf, die Zeiten der Symptomfreiheit oder Remission kann aber auch mehrere Monate oder Jahre betragen. Die Episoden treten in den ersten Jahren mit zunehmender Häufigkeit auf und†nehmen dann im Zusammenhang mit dem Verlust des Gehörs ab. Zwischen den einzelnen Attacken sind die meisten Patienten symptomfrei oder haben einen leichten Tinnitus, bzw. einen leichten Schwindel. In den meisten Fällen verschwinden die Schwindelattacken irgendwann völlig. Der wechselhafte, letztlich nicht vorhersagbare Verlauf macht Therapiestudien oder die Bewertung eines Therapieerfolges bei dieser Erkrankung schwer. 

Symptome:

30-45% der Patienten berichten eine Aura, die der Attacke um wenige Minuten vorausgeht. Die Aura besteht aus leichteren oder Teilsymptomen der Attacke mit Tinnitus, Hörminderung,  Ohrdruck oder Völlegefühl im Ohr. Bei den meisten Patienten treten diese Symptome anfangs nur einseitig auf. Nach der kurzen Aura tritt dann das Vollbild der Attacke mit heftigen Symptomen auf. Meistens kommt es zum plötzlich einsetzenden Ohrdruck mit Hörminderung, Ohrgeräusch (Tinnitus) sowie einem heftigen Drehschwindel (der Betroffene sieht die Umgebung sich Drehen) mit Übelkeit, Schweißausbruch und Erbrechen. Sehr selten kommt es während einer solchen Attacke auch zu einem Bewusstseinsverlust (Ohnmacht), letztere kann ganz plötzlich eintreten und wird auch als Otolithenkrise nach Tumarkin bezeichnet. Während der Attacke ist zumindest so lange der Drehschwindel vorhanden ist, auch ein Nystagmus (entweder horizontal oder horizontal- rotatorisch) zu beobachten. Diese Beschwerden klingen über Minuten bis Stunden langsam ab. Leichtere Gleichgewichtsstörungen können mehrere Tage nach der Attacke anhalten. Bei 3% der Patienten  ist Tinnitus das erste Symptom einer beginnenden oder drohenden Attacke,  bei 42% der Hörverlust, bei 11% der Drehschwindel, bei den anderen 44% tritt der Schwindel und der Hörverlust gleichzeitig auf. Für die Patienten kann es nützlich sein, die Frühsymptome zu kennen und richtig einzuordnen. Während der Attacken können die Betroffenen nicht Autofahren, Fahrradfahren, Schwimmen oder auf Leitern steigen und auch sonst keine gefährlichen Tätigkeiten ausüben.  Da insbesondere zu Beginn der Erkrankung oft nur ein Symptom alleine auftreten kann, ist das Erkennen des M. Menière als Ursache plötzlicher Drehschwindel-Attacken häufig sehr schwierig und manchmal nur im weiteren Krankheitsverlauf möglich.  Eine Hörminderung kann die Attacken überdauern. Die Patienten sind nach einer Attacke oft erschöpft, viele haben ein Bedürfnis sich hinzulegen und zu schlafen. 

 

Das Menière'sche Syndrom ist ein Sammelbegriff für in Kombination auftretende Symptome mit Tinnitus, Hörminderung, Völlegefühl im Ohr, und wiederkehrende, spontane Drehschwindelattacken. Verschieden Ursachen sind bekannt. Vom Morbus Menière, oder der Menière'schen Erkrankung spricht man wenn keine Ursache bekannt ist und ein endolymphatischer Hydrops vorliegt.  Daneben können Traumen, möglicherweise auch operative Eingriffe am Ohr oder auch am Kopf, Virusinfekte wie Masern, Mumps (auch mit etwas zeitlicher Verzögerung) ein Meniere'sches Syndrom auslösen. Spätstadien der Syphilis und das Cogan-Syndrom ursächlich sein. Am häufigsten ist der M. Menière bei dem wie genannt keine spezielle ursächliche Erkrankung bekannt ist, die genannten Ursachen müssen für diese Diagnose ausgeschlossen worden sein.
 

Beim M. Menière besteht ein  endolymphatischer Hydrops, dies bedeutet, dass der Druck der Endolymphe im  membranösen Labyrinth des Innenohres erhöht ist. Es handelt sich um eine Innenohr-Erkrankung, bei der die Produktion der Innenohr-Flüssigkeit (Endolymphe) gestört ist, so dass plötzliche Flüssigkeits-Verschiebungen (Hydrops= Flüssigkeitsansammlung) auftreten können. Die Endolymphe ist dabei die Flüssigkeit, die im häutigen Labyrinth des Innenohrs vorhanden ist. Beim  M. Menière  kommt es zu einer abnormen Flüssigkeitsansammlung im Innenohr, die dann die Bogengänge, die für das Gleichgewicht wichtig sind und die Schnecke die für das Hören wichtig ist, zusammendrückt.  Etwa die Hälfte der Erkrankten bekommen im Laufe eines Jahrzehnts auch auf dem anderen Ohr Beschwerden. Meist ist keine Ursache bekannt.  Selten ist eine Ursache die den  endolymphatischen Hydrops erklärt auffindbar. Ursachen können eine Felsenbeinfraktur, Syphilis, Hypothyroidismus (Schilddrüsenunterfunktion), das Cogan's- Syndrome und die Mondini Dysplasie sein. Die direkte Verursachung des M.Menière durch den endolymphatischen Hydrops ist noch nicht bewiesen. Die Erkrankung ist nicht immer einfach zu diagnostizieren und es gibt keinen 'Gold Standard' für die diagnostischen Tests. Die Erkrankung wird von Nicht-  Spezialisten zu häufig diagnostiziert. Nach der American Academy of Otolaryngology - Head and Neck Surgery (AAO-HNS) Diagnostic- Guidelines (Committee on hearing and equilibrium. Guidelines for the diagnosis and evaluation of therapy in Menière’s disease. Otolaryngology - Head and Neck Surgery 1995;113:181-5.) kann eine definitive Diagnose erst auf der Grundlage mindestens zweier spontaner Episoden von Drehschwindel die mindestens 20 Minuten gedauert haben, audiometrischer Bestätigung eines Hörverlustes,  plus Tinnitus und/oder der Empfindung eines Völlegefühls im Ohr gemacht werden.  Diese Kriterien schließen die meisten anderen Störungen des Gleichgewichtssystems aus und erfordern aber dennoch eine weitere Differentialdiagnostik. Während im späteren Krankheitsstadium eine mit den Drehschwindel-Attacken einhergehende fortschreitende Hörminderung auch durch entsprechende objektive Hörtests gesichert werden kann, sind die technischen Untersuchungen in der Frühphase der Erkrankung nicht zur Sicherung der Diagnose hilfreich und können nur dazu dienen, andere Ursachen auszuschließen. Die Beobachtung einer typischen Attacke mit den dabei auftretenden Augenbewegungs-Störungen (Nystagmus) kann die Diagnose ermöglichen.  Es handelt sich um keine psychosomatische Erkrankung. Sekundär entwickeln aber nicht wenige Patienten eine Angststörung, Misstrauen und Reizbarkeit, die entsprechend behandelt werden müssen. 

                                      Behandlung:

Die Studienlage zur Behandlung ist soweit eruierbar unbefriedigend. Die einzelne Attacke ist zeitlich begrenzt und klingt auch ohne Behandlung ab. Der Kranke sollte sich bei einer Attacke an einem sicheren Ort hinsetzen oder hinlegen, bis die Attacke abgeklungen ist. Während der Attacke sollte man nicht essen oder trinken, da Nahrung in der Regel wieder erbrochen wird. Wenn das Erbrechen ausnahmsweise bei Erwachsenen länger als einen Tag oder bei Kindern länger als 12 Stunden anhält, sollte man einen Arzt hinzuziehen und/oder Medikamente gegen Übelkeit und Schwindel einnehmen, damit es nicht zu einem zu großen Flüssigkeitsverlust kommt.  In der akuten Krankheitsphase ist wegen der meist kurzen Dauer der Symptome lediglich die Gabe von solchen Medikamenten sinnvoll, welche die Übelkeit und das Erbrechen vermindern. (Vomex A Zäpfchen, Sulpirid). Manchmal kann auch die ärztliche Gabe eines Diuretikums den Anfall abkürzen, häufiger werden Diuretika wie Triamteren/Hydrochlorothiazid Kombinationen vorbeugend zwischen den Anfällen verordnet. Zur Vermeidung weiterer Attacken werden Medikamente benutzt, welche die Mikrozirkulation im Innenohr verbessern sollen (Wirkung eher zweifelhaft). Auch zum sicher am häufigsten verordneten Betahistin, Betahistidin und dessen verschiedenen Abwandlungen gibt es bisher keine qualitativ guten Studien, die auf eine sichere Wirkung auf irgend eines der Symptome des M. Menière schließen lassen.   (James AL, Burton MJ Betahistine for Menière's disease or syndrome  The Cochrane Library, Issue 2, 2001). Nebenwirkungen hat diese Substanz nach bisherigem Wissen allerdings auch nicht. Es gibt auch Autoren die Betahistin für nach Studienlage wirksam erachten. Nach Studienlage also durchaus einen Versuch wert. Manchmal werden auch Verapamil oder andere Kalziumantagonisten bzw. Kortisonstoßtherapien verordnet.  Die transtympanale Gentamicintherapie durch den HNO- Arzt (das Antibiotikum wird über das Mittelohr zugeführt) richtet sich erfolgreich gegen die schweren invalidisierenden Schwindelanfälle bei der Menière'schen Krankheit.  Atlas and Parnes berichten dass eine vierwöchige intratympanische Injektion von Gentamicin bei Patienten mit schlecht behandelbarem M. Menière zu einer deutlichen Besserung führte ohne das Gehör wesentlich zu schädigen.  Minor kommt zum selben Ergebnis wobei er die einseitige vestibuläre Hypofunktion wie das Auftreten eines spontanen Nystagmus dazu nutzte um zu entscheiden, wann die Gentamicinbehandlung beendet werden sollte. Es werden Erfolge berichtet mit Erhalt des Gehörs bei 90% der Patienten. Auch eine neue Untersuchung berichtet über eine komplette Kontrolle des Schwindel bei 90% der Patienten durch Gentamicin, eine schwere Hörstörung trat dabei nur bei einem von 34 Patienten als Folge der Gentamicininjektionen auf.   5 (15%), gaben ihr Hörvermögen gebessert an, 23 (68%) als unverändert an und 6 (17%) der Patienten als durch die Gentamicininjektionen verschlechtert. Eine Rückkehr der Schwindelsymptomatik trat bei 10 von 34 Patienten (29%) nach einem Intervall von 4 bis15 Monaten nach der ursprünglichen kompletten Symptomfreiheit auf. Diese Patienten wurden ohne negative Folgen für das Gehör in der Studie noch einmal mit Gentamicininjektionen behandelt.  (The Laryngoscope 2003; 113(5):815-820)
Spezielle Applikationsverfahren werden neuerdings getestet. Auch diese Verfahren ist nicht unumstritten.  Dexamethason lokal injiziert soll eventuell eine gleichwertige Alternative zur Aminoglykosidbehandlung sein. Behandelt werden vorwiegend einseitig Erkrankte. Die Erfolgsrate liegt nach Angaben mancher Autoren bei 80-90% Selbstverständlich ist die Erhaltung des Gehörs auf dem behandelten Ohr sehr wichtig. Nur in seltenen Fällen ist eine Op erforderlich. Da der Langzeitverlauf des M. Menière doch recht günstig ist und sich ca. 80 Prozent der Fälle innerhalb von fünf bis zehn Jahren spontan verbessern, sind chirurgische Maßnahmen mit Zerstörung bestimmter Strukturen des Innenohres nur sehr selten nötig. In wieweit die Aminoglykosidbehandlung oder die Dexamethasoninjektion einen eindeutig langfristig positiven Effekt haben, bleibt allerdings auch weiter Gegenstand der Forschung. Die Unterschiedlichkeit  des Verlaufs und nicht immer eingehaltene vergleichbare diagnostische Kriterien erschweren die Beurteilbarkeit der Therapieverfahren. Generell wird empfohlen auf Koffein, Zigaretten, und Aspirin bei diesem Syndrom zu verzichten. Es wird auch empfohlen auf eine regelmäßige Flüssigkeitsaufnahme und einen geringen Kochsalzkonsum (salzige Speisen meiden) zu achten.