Das Wort-Texte2
Georg Bleistein
Da ist ein Mann, dem geht es schlecht im Wohlfahrtsstaat.
Er sucht Liebe und findet Konsum. Er wehrt sich und fällt auf
die
Nase.
er findet Arbeit.
Das Büro
des Inhabers lag
neben der Herren- und Damentoilette.
Auf der Tür prangte das Schild "Privat". Georg gab sich einen
Schwung, klopfte und trat ein.
Die Tür war von innen gepolstert. Er versank bis zu den
Knöcheln in einem Teppich, der schwarzblau war,
die Farbe einer schönen Nacht hatte. Dann stand er einem Mann
gegenüber, der sich kaum von dem metallisch
grauen Ledersofa, auf dem er saß, abhob. Er hatte einen
Aktenordner in seinem Schoß liegen, den er heftig zuklappte;
aus trüben Augenschlitzen heraus musterte er Georg Bleistein.
"Hab ich Herrein gerufen?" fragte er.
Der Mann hatte eine unangenehm quiekende Stimme, sah alt und krank aus,
blaß wie Eis.
"Schuhe abgetreten?" fragte er.
"Sind Sie Herr Tischlinger?" fragte Georg.
"Bin ich! Und?
"Hundhammer schickt mich."
"Achso", sagte Tischlinger eine Spur nachgiebiger. "Wie gehts denn dem
guten alten Eugen so?"
"Er lebt", sagte Georg.
Der Mann erhob sich, ging hinter einen robusten Schreibtisch und setzte
sich wieder. Auf dem Boden vor dem
Schreibtisch lag ein Zebrafell.
"Name?"
"Bleistein"
"Vorbestraft?"
Georg schüttelte den Kopf.
"Antwort!"
"Nein", sagte Georg. "warum ich hier bin, wissen Sie. Sie suchen doch
einen Arbeiter?"
"Nein", sagte der Mann, "es ist genau umgekehrt: die Arbeiter suchen
mich!
Hör zu, damit Du Bescheid weißt. Hier bin ich der
Chef, mir
gehört der Betrieb! Ich habe keine Teilhaber, hier richtet
sich alles nach mir. Ich will absoluten Repekt! Ich verlang von jedem,
dass er galoppiert. Wer nur trabt kriegt einen Triit!
Paß auf, was ich nicht mag: das sind Gewerkschaftler, Sozis,
Halbstarke und Langhaarige. Ich mag keine Blaumacher,
keine faulen Stinker, ich brauche Leute, die spurn, mit Tempo an die
Arbeit gehn. Wer bei mir seine Arbeit macht und
noch ein bisschen mehr, der fährt gut.
Leider sind immer noch die Wenigsten dazu bereit, die Zeichen der Zeit,
die auf Sturm stehn, zu befolgen und die
Ratschläge, die ich austeil, zu beherzigen. Ich trinke auch ab
und
zu, bin kein Unmensch, kein Kostverächter, rauch selten,
leb streng Diät, sonst könnt ich meine Pflichten
nicht
bewältigen. Wer sich anstelig zeigt, der gefällt mir.
Lahmärsche sind
mir ein Greul. Ich habs zu etwas gebracht, das laß ich mir
von
niemanden nehmen, von Weltverbesserern schon gar nicht.
Ein Bekannter von mir, zum Beispiel, hat nach dem Krieg mit einem
Bauchladen angefangen, mit Rasierklingen
und Schnürsenkeln hausiert und dann hat er eine
Radioreparaturwerkstatt eröffnet, aufgebaut aus dem Nichts.
Heute besitzt er ein Imperium, ist einer der größten
Hersteller von fernsehapparaten, Stereoanlagen. Manchmal hörst
Du
ihn mit seinem Hubschrauber über die Stadt fliegen, weil seine
Stammwerke so weit auseinanderliegen. Daran nimm Dir
ein Beispiel!
Ich hab mich in der Nahrungsmittelbranche, auf dem
Genußmittelsektor spezialisiert, denn essen müssen
die Leute
immer,
zu jeder Zeit. Jeder soll leben , heißt meine Devise,
bloß
nicht auf meine Kosten. Ich bin siebzig, in dem Alter ist jeder an-
dere längst in Rente oder Pension, während ich noch
tagtäglich meine Arbeit erledige, meine Pflichten
erfülle!
Merkst Du den Unterschied? Dir wird nichts geschenkt! Ich hab da so
meine Methoden, altbewährte übrigens.
Wenn einer aus der reihe tanzt, fliegt er in hohen Bogen, in dem fall
geb ich kein Pardon. Vielleicht, vielleicht auch nicht,
fragst Du Dich jetzt, wieso ich Dir das alles so haarklein
erzähle. Dafür gibt es nur einen Grund,
nämlich den,
dass ich
mir Sorgen machen würde, wenn Du nicht
wüßtest, mit wem
Du es zu tun hast. Und eins kann ich Dir nur sagen: ich sage
das nicht umsonst! Ihr habt nichts zu melden, aber schon gar nichts -
und wem das nicht paßt, den schrubb ich mit dem
Eisernen Besen! Säufer mag ich nur als Gäste, Memmen
sind mir
zuwider. Wer tüchtig arbeitet und anständig hinlangt,
der hat es gut bei mir. Ich hab Häuser, Grundstücke,
Bauplätze, Eigentumswohnungen; Du könntest drin
wohnen, die
Miete würd ich Dir ntürlich vom Lohn abziehen."
Es war schwer, den lauernden Blicken des Mannes standzuhalten.
Jedesmal, wenn Georg nachzugeben drohte, rief er sich
seine Mutter ins Gedächtnis.
"Du kommst in Frage!" sagte der Mann. "Willst Du die Stelle haben?"
Georg nickte.
"na also! Du kriegst einen Planwagen und kommst an den Stadtrand, und
dort wirst Du Bratwurst braten und verkaufen!
Sonst noch Fragen?"
"Ja und welcher Stundenlohn?"
"8 Matk 76, brutto!"
"Einverstanden", sagte Georg gegen seinen Willen.
Woher er Hundhammer kenne, wurde er zum Abschluß gefragt.
Eine
seiner Tanten sei mit ihm verschwägert, log Georg aufs
Geratewohl. Dann trug ihm Tischlinger viele
Grüße an
Hundhammer auf und entließ ihn ohne einen Händedruck.
Die Fürsten der Fabriken
halten sich Handvolk
leben ihr Leben nur zu ihrem Wohl
alle anderen zum Verderb.
Sie fahren in die Wolken
die anderen in die Grube.
Ihr Geld schachtet den Himmel aus
ihr Besitz versetzt Berge.
Was nachkommt, bestimmen sie.
Sie schöpfen aus dem, was unten nicht stirbt.
Sie nehmen nichts auf sich, sie
lassen sich tragen
den Aufrechten verhelfen sie zum Fall.
Und was sie haben fehlt immer mehr.
Die frühen Sonnenstraheln färben kein Gesicht, die
Tage
wachsen in die Nächte. Und Steine weichen auf und kleben an
den Sohlen. Es gibt viele Feste für die Toten. Die Wolken
bluten
Nebel, am Tag scheint der Mond. Was zurückliegt, war
anders, und was kommt, ändert nichts. Da liegt die Stadt wie
ein
erstarrtes, staubgraues Aug aus Glas und mit steinernen
Wimpern. Auf den Dächern funkeln die Antennen.
Kronen einer prunklosen Zeit. Man möchte die Haut abwerfen,
kocht
im Bett und röstet zwischen Maschinen. Die Kleider
trocknen schon während des Waschens. Schweißdampf
bauscht
die bleichen Körperzonen. Ein Schritt in den Schatten,
irgendeinen, ist ähnlich einen Gang in Paradies.
Es ist eine schöne Zeit für Begräbnisse.
Dass er zum Bratwurstberater aufgestiegen war, war etwas, dass ihn wie
ein trauriger Witz anrührte.
Zuerst erzählte er Sybille Lieberwirth von dem Glück,
das ihm
widerfahren war, ab morgen zustoßen würde. Er tat
ganz so,
als habe er ein Wunder erlebt, das er unbedingt mitteilen musste, bevor
er vor lauter Stolz zusammenbrach."
Keine guten Wünsche begleiteten ihm am nächsten
Morgen auf
seinem Gang in die Stadt. Die Arbeit kam auf ihn zu, war eine
Sorge, eine Not, eine Plage, der Abschaum seiner Gefühle. Er
hätte besser eine Schwerstarbeit annehmen sollen, dachte er,
eine bei der es Schmutz- und Gefahrenszulage gibt, als Kantinenwirt auf
Großbaustellen in anderen Erdteilen zum Beispiel,
dort hätte er mehr sparen oder eine Ehe mit einer
Einheimischen
führen, villeicht Vielweiberei betreiben können.
In seinem Kopf rannte er über Wasser und ernährte
sich von
Sand.
In der hauptstrasse stieg er in die Starßenbahn. Er fuhr
schwarz,
weil er jeden Pfenning sparen wollte, fand keinen Sitzplatz
und schlingerte stehend hin und her. Am Haltegriff, der ölig
war
von fremden Schweiß, hielt er sich nur mit einem Finger
fest. Wohin er auch sah, jeder hielt den Rücken
gekrümmt,
hatte den Kopf mit dem mühsam erweckten Gesicht gesenkt,
betrachtete seine Schuhspitzen, als habe er sie versehentlich in
Auswurf gebohrt.
Georg hätte es als wohltätigen Wink des Schicksals
empfunden,
wenn die Starßenbahn entgleist, in die Autostaus gewalzt,
wenn er vielleicht der einzige Überlebende, der Held des Tages
geworden wäre, arbeitsunfähig vor Fernsehkameras und
Mikrophonen.
Als ihm die Gegend draußen bekannt vorkam, stieg er aus.
Die Gaststätte "Bratwurst-Ranch" hatte nochj nicht
geöffnet;
er war zu pünklich gewesen. Er ging vor dem Lokal auf und ab,
bis
ein zitronengelber Mercedes durch dei Fußgängerzone
auf ihn
zufuhr. Tischlinger, der Fahrer, hupte, hielt an, stieß den
Wagenschlag auf und winkte Georg ungeduldig herrein. Der Sitz, auf dem
er Platz nahm, war mit schneeweißen Lammfell
bespannt, der Wagenboden mit einer Perserbrücke ausgelgt; im
Autoradio spielte eine Zither, Kuhglocken schellten im Hintergrund, bis
die Musik von einer Zeitansage unterbrochen wurde.
"Na", sagte Tischlinger, "frisch rasiert und sauber gewaschen? Keinen
Mundgeruch? So mag ich meine Leute!
Appetitlich müssen sie aussehn, wenn sie mit Essen umzugehen
haben! Schnall Dich an!"
Während sie aus der Stadt hinaus fuheren, sagte Tischlinger:
"Die Umsätze, die ich erziele, seind meine
Privatangelegenheit,
aber eine Steigerung kommt auch Euch zugute, merk Dir das!"
Georg schaute stur auf die Starße, die ihm entgegenzog,
während sich Tischlinger mit beiden Händen am
Steuerrad
festhielt
und redete. Endlich kuvte er im Kriechgang auf einen kleinen Platz,
hupte und sagte: "Da wären wir!"
Auf den Platz stand ein Planwagen. Es war wie im Film,. Georg kam ein
Grinsen aus. Kein Pfeil stecke in der Plane,
die mit weißblauen Rauten gemustert und
über und
über verstaubt und verrußt war, keine Kugel hatte
sie
durchschlagen.
Die Räder des Wagens hatten knüppelähnliche
Holzspeichen; die Deichsel war hochgestellt wie ein Fahnenmast.
Georg dachte sich ein Doppelgespann Zugpferde, saß auf dem
Bock
und knallte mit der Peitsche......
Der Platz war eine Schotterwüste, eigekeilt von Tankstellen
und
Fabrikhallen. Aschgraue Wohnblocks waren in den Horizont
gerammt, am Rande des Platzes kreuzten sich rostige Gleise, in die
mannshohen Mauern der Fabriken waren Glasscheiben einzementiert, dei
wie verkrüppelte Hahnenkämme aussahen, auf den
Eisentoren
kräuselte sich Stacheldraht.
Tischlinger zückte einen Schlüsselbund. Er sperrte
eine
holzfarbene Hartplastiktür auf, die an der Rückseite
des
Planwagens
angebracht war, und schwang sich hinein.
"Also", sagte er. "Folgendes: Du wirst mir als erstes Ordnung hier
schaffen, auf räumen vom Boden bis zur Decke, alles putzen,
innen
und außen. Ich werde veranlassen dass Du heute ausnahmsweise
noch
heute Abend beliefert wirst, und morgen ist Verkauf und nochmal und
immer wieder Verkauf. Am besten Du nimmst die Preisliste mit heim und
lernst sie bis morgen früh auswendig. Wenn in der kase etwas
fehlen sollte, zahlst Du es von deinem Lohn. Einen Liter Limo hast Du
gratis pro Tag. Aber wenn ich Dich erwische, das Du Alkohol
süffelst, fliegst Du auf der Stelle. In der Kiste unter der
Kasse
ist alles
was Du für den Anfang brauchst. Ich komm kontrollieren, das
merk
Dir. Und noch eins: Ich erklär alles bloß einmal!
Denk immer daran, dass mindestens tausend andere bloß darauf
warten, diesen Posten zu kriegen. Ich bin kein Unmensch,
aber je ernster Du mich nimmst, desto mehr hast zu lachen!"
"Dein Vorgänger war kein Gescheiter gewesen", sagte sein Chef
und
schaute ihn eifrig bei der Arbeit zu.
"Glaubst Du, Du kannst das?"
"Die Arbeit gefällt mir", sagte Georg.
"Fein", sagte Tischlinger, ich muss jetzt weiter. Aber ich komm wieder,
verlaß Dich drauf!"
Georg begann leise zu zittern, als der zitronengelbe Mercedes
davonrollte. Er wünschte sich nur noch, dass auch der
Planwagen
losfahre: wie ein Zigeuner hätte er die Weite gewonnen,
hätte
abends vorm Kohlebecken gesessen und in die Glut gesungen.
An die Arbeiten versuchte er sich zu gewöhnen wie an
zufällige Ereignisse. Er war noch nicht mit dem ganzen Ernst
dabei;
er hielt sich für jemanden, der nur versehentlich
hierhergeraten
war. Er werkelte vor sich hin, bestimmte jeden Handgriff zum Wohl
seiner Mutter, putzte den leicht schaukelnden Wagen, bis es nur noch
nach Hygiene roch und er sich spiegeln konnte. Als irgendwann in der
Umgebung eine Werksirene brummte, legte er eine Zigarettenpause ein.
Dann füllte er einen Eimer mit Wasser und Scheuerpulver und
fing
an, die Plane abzuwaschen. Der Schwamm sog sich voll
schwarze Schmiere, der Schaum stach unter den Fingernägeln. Er
hängte frische Beutel in die Abfallbehälter,
erwischte sich
dabei, dass er schon so hantierte, als sei er ein langjähriger
Fachmann.
Wenn Leute vorbeigingen , machte er ein abweisendes Gesicht. Als dann
sein Hunger wehtat, ließ er alles stehen und liegen
und ging ein Wirtshaus suchen. Er lief am Rand des Platzes auf und ab,
ging ein Stück die Straße hinauf; ein Wirtshausschild
sah er nirgends. Vor den Fabriktoren standen noch die Tafeln;
Arbeitskräfte wurden nirgends gesucht.
Alles in allem war es eine niederschmetternde Gegend,
zweckmäßig verschndelt, Bachsteinmauern,
Betonklötze,
Autowracks, ab und zu kümmerliche Bäumchen;
plötzlich
war ihm, als krieche er über den Leib einer verunstalteten
Riesin,
deren Gesicht, von Geschwüren durchlöchert, dem
seiner Mutter
ähnlich wurde.
Als er zum Planwagen mit leeren Magen zurückkehrte, stand der
zitronengelbe Mercedes davor. Sein Chef wartete bei laufenden Motor.
"Spaziergang gemacht?" rief er schon von allerweiten.
Georg schob die Zunge zwischen die Zähne und biß
mißmutig zu, damit ihm der Schmerz zu Besinnung brachte.
"Nimm zur Kenntnis", sagte Tischlinger, "dass ab morgen nur dann Pause
ist, wenn die Kundschaft nichts will! Fühlst Du Dich schon ein
bisschen heimisch?"
"Ich habe Hunger gehabt", sagte Georg.
"Was meinst Du, warum der Wagen grad in dieser Gegend steht?" erwiderte
Tischlinger. "Hier ist der Arsch der Welt, weit und breit kein Lokal,
kein Laden,
außer uns gibt es nichts. Jetzt kann der Rubel wieder rollen!
Deine Arbeitszeit dauert von neun bis sechs, morgens musst Du etwas
eher da sein, weil du dann beliefert wirst und abends hast Du auf mich
zu warten, bis ich komme und die Kasse abhole. Du bist mir für
alles verantwortlich, ich laß Dir nicht durchgehen!"
Als Tischlinger abgefahren war, ging Georg vor dem Planwagen auf und ab
und wartete auf die erste Lieferung.
Er ärgerte sich, dass er Tischlinger nicht um einen
Vorschuß
gebeten hatte; er hätte seiner Mutter die Scheine auf den
Tisch
gedroschen, sie in ein Restaurant eingeladen, und Hundhammer ihr Chef
und Zuhälter hätte sie auf Knien bedienen
müssen,
verwöhnen mit Austern, Kavier, Ziegenwurst, tropischen
Früchten......
Am Morgen des zweiten Arbeitstages stand er wieder viel zu
früh
auf, wusch sich leise und flüchtig, aß nichts, trank
nichts
und ging aus dem Haus. Das Gestern fing wieder an.
Als er das Haus, in dem die Stklle toste, verlassen hatte, kam er sich
wie ein Vertriebener vor, so rettungslos verloren.
Seine Kleidungsstücke hingen wie Lumpen an ihm, zerschlissen
von
seinen Fluchten.
Die Stadt lag da wie in den letzten Zügen. Er atmete den Dreck
der
Nacht ein.
Die Straßenbahn, mit der er fuhr, war fast leer. Er
saß wie
hinter Panzerglas, seine Augen tränten vor Müdigkeit;
die
Häuser trieben wie steinerne Schiffe vorbei. Früher,
als er
in seiner Heimatstadt in der Supermarktküche gearbeitet hatte,
hatte er wenigstens noch Kollegen gehabt; nun war er ganz allein auf
sich gestellt, musste ohne Hilfe die Leute abfüttern. Es half
ihm
wenig, wenn er dacht, dass auch diese Zeit nicht ewig dauern, ein Ende,
irgend ein Ende finden würde. Du kennst die Arbeit, sagte er
sich,
Du kennst Dich darin aus, weißt was es heißt, den
ganzen
Tag auf den Feierabend zu warten, der immer wieder in einem neuen
Anfang übergeht: komm, es läuft schon irgendwie, bis
Schluß ist.
Als er vor den Fabriken aus der Starßenbahn ausstieg, sah er
einige Arbeiter bei Rot über die Straße hetzen, die
sich
verspätet hatten und lieber den Tod in Kauf nahmen
als
unpünktlich zu sein. Bei ihrem Anblick ging er langsamer;
hinter
jedem Fabriktor hörte er Knochen krachen. Der Planwagen sah
von
fern abfahrbereit aus. Er schin so winzig und schwerelos, dass ihn eine
Schnecke hätte fortziehen können. Als Georg
näherkam,
blies ein Wind die Wolken auf zerriß sie zu pludrigen Fetzen,
fuhr herab und zerrte an der Plane. Er dachte kurz
schwarzhäutige
Indianer mit gelbgefärbten Schlitzaugen und Zöpfen
geflochtenen Bärten....., dann lehnte er sich an die Deichsel
und
wartete ab. Manchmal schlug die Sonne durch den Dunst; in ihrem
Gleißen zerstorben die Schatten.
Als er schon glaubte, vergessen worden zu sein, kam der Lieferwagen an.
Hintern Lenkrad saß derselbe Fahrer wie am Abend
zuvor. Er
brachte einen blaugrünen Arbeitsmantel, einen Bottich voll
kleiner, dünner Würste, die wie abgeklemmte Finger
ausschauten, einen Zellophansack mit Semmeln, alle weich wie watte und
voller Druckmulden, dazu Kartons mit Büchsenbier un Limonade.
Georg öffnete, sperrte die Schlösser auf und kurbelte
die
Plane hoch. Dann riß er einen Karton mit Bierdosen auf, soff
sich
auf nüchternen Magen ein Quentchen Stimmung an, studierte die
Preisliste.
Kaum streckte er seinen summenden Bauch, kam auch schon der chef im
zitronengelben Mercedes angekarrt. Georg goß Spiritus
auf
die Holzkohlenasche, warf ein brennendes Streichholz durch den Rost ins
Kohlebecken und tat so, als sehe er fachmännisch zu, wie die
Stichflamme hochpuffte und flackert zusammensank.
"Schon schön fleißig?" sagte sein Chef. "Das lob ich
mir!"
"Immer!", sagte Georg.
Tischlinger stellte die Kasse an ihrem Platz, klappe den Deckel auf und
zählte Wechselgeld hinein.
"Dann kann ich ja wieder abbrausen", sagte er. "Die Kasse und die
Schlüssel hol ich mir heut abend!"
Der erste Kunde war ein Gabelstaplerfahrer; er entschied sich
für
eine Wurstsemmel. Essend fuhr der Mann zu seiner Arbeit
zurück. Im
laufe des Vormittags kam Georg oft in Bedrängnis. Immer wieder
ging es vor dem Planwagen zu wie auf einem Rummelplatz; mittags hatte
es den Anschain, als würden aich alle Mitarbeiter der
umliegenden
Firmen auf einmal am Wagen versammeln und sich einen Nachschlag zum
Kantinenessen gönnen. Sie hackten sich den billigen Dreck
durch
die Gurgel, drängten zur Eile; die Arbeiter wischten sich die
fettigen Finger an den Hosen und Jacken ab, die Büroler
griffen zu
den Servietten. Die Würste, die Georg zu wenden
vergaß,
sahen aus wie verkohlte Spielzeugbalken. Er verkaufte sie trotzdem; die
Gesundheit seiner Kunden ging ihm nichts an. Er schaufelte blasses
Sauerkraut in den in heißer Asche stehenden Eisenkessel; ab
und
zu stiegen Lasterfahrer auf die Bremse und holten sich einen Pappteller
voll Würstchen, in ihn ihr Führerhaus verzehrten das
Essen,
bevor sie die Gegend wieder mit Dieselruß
einäscherten.
Georg keuchte geräuchert, wenn der Wind in den Wagen
drückte; längst zählte er nicht mehr die
Bierbüchsen, die er nebenbei aussoff. Mit trockenen Semmeln
hielt
er sich halbwegs nüchtern.
Georg stank verbrannt, sein bauch war vollgespritzt mit schwarzen
Punkten, Ascheflecken, Qualmflecken.
Es war eintönig, immer die gleichen Worte zu sagen, zu
hören,
Geld zu zählen das ihm nicht gehörte, nachzurechnen
und
herauszugeben. Den ganzen Tag bekam er kein einziges Trinkgeld, keinen
Dank; er kam sich vor wie ein mit allen Gliedern klappernder
Hampelmann. Wäre es nur um sein Leben gegangen, er
hätte ein Feuerwerk veranstaltet, alles angesteckt und
niedergebrannt. Bald brachte er nur noch mit Gewalt den Deckel der
kasse zu, schätze mit verschleierten Augen den Inhalt ab, der
sich
silbern auf einem Fundament aus Scheinen türmte. Zur
Feierabendzeit nahmen sich viele eine Wegzehrung mit, als
könnten
sie sonst den Rückmarsch an den heimischen Herd nicht
bewältigen. Er hatte nochmal alle Hände voll zu tun;
dann
starb die Gegend aus. Auf einmal war er unter der windgewellten Plane
allein.
Er fühlte sich wie einer, der sich woanders nicht auskennt,
nirgends durchblickt, also genau paßt für solch eine
hirnvergehende Arbeit.
Dann bog der Mercedes auf den Platz und bremste mit schleifenden Reifen.
Als er die Einnahmen gezählt hatte, sagte er anerkennend: "Nur
weiter so!" Daraufhin handelte ihm Georg einen Vorschuß ab;
er
musste einen Zettel unterschreiben und bekam gerade soviel wie er an
beiden Tagen ungefähr verdient hatte, recht wenig, fast
nichts,
gemessen an dem Haufen, den sein Chef einsäckelte.
"Morgen in alter Frische", sagte Tischlinger und fuhr davon in die
allesumhüllende Dämmerung.
Als Georg nach Hause kam, stemmte er sich gegen den Klingelknopf.
Als Sybille öffnete, sah sie wie erschrocken aus. Seine Mutter
stand im Fluhr. "Stör ich?", fragte er.
"Woher denn!", sagte Sybille. "Wie wars?"
"Wunderbar", sagte Georg. "Stellt Euch vor, ich bin schon
Millionär. Ich kauf dem Hundhammer den Laden ab und dem
Tischlinger seinen Wurstwagen dazu. Na, freut Ihr Euch nicht?"
Er zog den Vorschuß aus der Hosentasche und warf das Geld auf
den
Fußboden. Münzen sprangen in die Ecken des Flurs,
die paar
kleinen Scheine fielen langsam zu Boden.
"Könnt Ihr Euch teilen", sagte er.
Ich bin ein Arschloch. Ich gehör zugeschissen. Aber nicht auch
noch von Euch.
Am nächsten Tag.
Die Plane des Imbisswagens sah von weitem aus, als flatterte ein
zerfetzter Drachen im Wind.
Es war keine Täuschung. Die Plane war aufgeschlitzt worden,
jemand
hatte abgehaust, wie Georg es sich nie zugetraut hätte. Die
Wagentür lag auf der Straße. Er genoß
diesen Anblick,
als betrachte er sein eigenes Werk. Alles Eßbare war
fortgeschleppt, die Holzkohle über Kothaufen gestreut, im
Kohlebecken schwamm rötlicher Urin....
Der Fahrer stieg erst gar nicht aus. "Warst Du das?, rief er.
"Leider nicht!" sagte Georg.
Ich geb` eine Party!
Erika saß direkt in
der Zugluft der
Schwingtüren, durch die Geschrei und Motorlärm
dröhnte.
Ihr Kopf war ihr zwischen die Schultern gesunken. Schö, dachte
Georg, bist nicht krank, nicht ausgetreten, hast nicht frei. Und sag
nicht Nein, sag Ja.
Er stellte sich an den Schwanz der Schlange, die vor der
Kasse
wartete. Bauernsippen aus den Dörfern hinter der Autobahn
schritten einträchtig wie Marsmenschen durchs Gewoge; vor den
Sonderangeboten rotteten sie sich zusammen. Georg zählte die
Kunden, die vor ihm warteten. Erika sah kein einziges Mal auf. Mit der
Hand wühlte sie die Waren auf dem Laufband auseinander, die
andere
ließ sie über die Tasten der Kasse springen. Ihre
Fimger
glichen heftig pickenden Vogelschnäbeln. Jedes Trumm
mußte
sie anfassen, zurechtrücken, damit sie den Preis lesen konnte.
Sie
war hübsch, sie war eine Schönheit, auf der linken
Brust
steckte ein Namensschild.
Georg schaute jetzt nur noch auf ihr Gesicht. Er spannte die
Wangenmuskeln zu einem Lächeln, schluckte eine Trockenheit
hinunter. Erika ließ das Tranportband auf sich zurollen; erst
als
es schon eine ganze Weile leer lief, sah sie endlich hoch, halb an ihm
vorbei.
"Horch, ich bins!" flüsterte er hastig. "Ich gebe eine Party!
Heut
abend! Kommst Du auch?"
"Möglich", sagte sie verwirrt. "Ruf mich an."
Georg hätte sich beinahe bedankt, sein Schädel taute,
ihm war
beflügelt zumute. Wie schwerelos schlurfte er dahin.
Erikas Stimme klang in ihm nach, ihre Worte nährten sein Herz.
Er
konnte fast nicht glauben, dass er Hoffnung haben durfte. Immerzu
dachte er, sie kommt, sie kommt vielleicht, sie kommt zu Dir.
Tante, würde er zu Hause sagen, Großmutter, das ist
sie, die
Erika, da habt ihr sie, nehmt sie auf, geht zur Seite, sie macht mich
zum Mann. Ist sie nicht schön? Ich werde mich
anständig
benehmen, aufwerksam, zurückhaltend. Gut, ich hab geilen
Schund
gelesen, mehr als einmal, es ging mir dabei nicht um Gesichter, ich
bekenne auc, dass ich mich als Mann spür, aber es muss ja
nicht
gleich sein, wenn sich das Warten rentiert und nach dem freundlichen
Kennenlernen die ganze große Liebe kommt wie ein
wollusttolles
Märchen.
Als er am späten Nachmittag zu seinem Fahrrad ging, hatte er
noch
keine Vorstellung, wie er die Zeit bis zum Abend totschlagen sollte.
Für Erika hatte er eine Flasche Likör mit
Waldmeistergeschmack besorgt; Wein Bier warendaheim, auch Chips und
Sticks. Seine Tante achtete darauf, dass immer Knabbersachen im Haus
waren, obwohl sie kaum Besuch erhielt.
Über den Hügel rollten Wolken, weiß wie
Eis. Die
Kälte des Sattels fuhr Georg in den Magen, der Wind
sägte in
seine Lider. Er zwang sich zu einer frohen, freien, heiteren Stimmung,
hielt sich für einen ganz ausgekochten Burschen. Bald
würde
er glücklich sein.....
Kommst du zu meiner Party?
Und ob, Mann!
Hab ich auch gar nicht anders erwartet!
Wurde langsam Zeit für eine Einladung-oder?
Ach, weißt du, ich hab erst die Körbe
für meine
anderen Freundinnen flechten müssen!
Meinen hab ich grad in die Wüste geschickt!
Mach dich hübsch und sexy!
Du wirst Augen kriegen, wenn ich antanz. Für dich
begieße
ich meine Netzstrümpfe mit Parfüm. Wegen die schmier
ich mich
mit Gleitkrem ein, überall! Du wirst es mir anständig
besorgen?
Ich hab genug Übung! Baby, du machst mich ganz schön
scharf!
Kinderspiel!
....."Dann soll mir von deinen Gästen erst recht keiner etwas
nachsagen können", antwortete seine Tante, Sie würgte
kurz
und krachend, spuckte grauen Speichel in den Schnee.
In seinem Zimmer machte er sich am Bett zu schaffen, kratzte
Haare vom Kissen und breitete die Tagesdecke darüber, staubte
den
Plattenspieler ab, räumte die Schallplatten aus der Kiste und
ordnete sie lässig, in gewolltem Durcheinander auf dem
Bettvorleger. Dann rückte er Tisch und Stuhl zur Wand. Die
Kommode
schob er tiefer in die Ecke; auf der Kommode, neben der Vase mit
Silberdisteln, baute er die Heizsonne auf. Als er sich umsah, wirkten
im die Wände zu kahl. Mit einem Filzstift malte er mehrmals
"LOVE"
auf die Leinmfarbe: sein Handgelenk gehorchte ihm nicht
richtig.
Georg war noch nie zu einer Party eingeladen worden. Sowas kannte er
nur vom Hörensagen und aus Illustrierten: Partys auf Yachten
und
in alten Schlössern, die Gäste trugen Badeslip oder
Bikini
unterm Smoking, dem Abendkleid, die Töchter aus besten Haus
flirteten mit den Leibwächtern ihrer Väter und
tanzten zu
Soulmusik und Reggae. Dass es auf seiner Party nicht so sein , nie so
werden würde wußte Georg genau. Was er zu bieten
hatte, war
nicht vergleichbar mit Drinks unter Palmen an einem tropischen Starnd.
Er spielte auch nicht Lotto. Er konnte Erika nicht mal fremde Sterne
zeigen; die hier kannte sie alle. Er würde sagen; Meine
Freunde
kommen später, was möchtest du trinken, was
möchtest du
hören, hast du Hunger? Mach dirs bequem auf dem Bett, ich
bleib am
Boden. Und sie würde sagen, steh auf, komm zu mir mein
liebster
Schatz!
Er hatte Angst. Auf einmal fand er seinen Einfall gar nicht
mehr
so gut.
Er traute sich nicht, weiterzudenken und schlatete das Radio ein.
"Früher ", sagte die Tante, sind die jungen Leute
Samstagabend auf den Tanzboden gegangen, haben sich nicht zu den Alten
heimgehockt." "Bei einer Party ist das anders", sagte Georg.
"Red nicht russisch mit mir", sagte sie unwirsch.
Er ging hinüber ins Wohnzimmer und schob sich einen
Sessel
an den Ofen. Georg fühlte sich elend beim Gedanken an den
Abend;
er wusste, dass er schlecht gelogen hatte. Statt der
anfänglichen
Begeisterung, mit der er sich seine Lüge hatte verzeihen
können, brauste ein höhnisch hallendes
Gelächter durch
seinen Schädel. In seiner verzweifelten Einbildung
ließ er
das Telefon klingeln, dachte sich sein Gestammel fließend
zurecht.
Mann, Puppe, na endlich! Hab mir gedacht, quatsch mal ein wirklich
nettes Wörtchen durchn Draht. Hey, lach`dir doch einen Strich
ins
Gesicht! Wir haben draußen ein violettes Abendrot. Wir
können ein Häppchen speisen, ein Schlücklein
süffeln, ein liebes Nickerchen hinlegen. Sag endlich: Zu
Befehl,
Meister! Okay? Prima, Mensch! Mach dich auf die Stöckel, Baby,
saus los!
Er fühlte sich schwach und alt.
Er suchte eine Frau.
Er wollte leben durch sie, mit ihr.
Wenn er ein Pärchen sah, das zärtlich war,
umschlungen
daherkam, sein glückliches Lächeln verschenkte, wurde
er
wütend, traurig, kam sich vor wie kurz vorm Tod. Sein
Äußeres ließ ihn Zuschauer bleiben......,
seine
Träume rasen, drängen nach ewiger Fortsetzung. Es war
ein
grausames Wissen für ihn, noch mit keiner Frau geschlafen zu
haben, aber mitreden zu müssen wie jemand, der durch Erfahrung
abgehärtet ist. Manchmal war er ganze Sonntage auf seinem
Zimmer
geblieben, hatte gewichst, halb wahnsinnig, wie närrisch,
damit er
montags prahlen konnte, er hätte das Wochenende im Puff der
fernen
Großstadt verpennt, sich ein paar Weiber abgeneuttet. Niemand
hatte ihm das gegenteil beweisen mögen. Seit Jahren zerlas er
die
immergleichen Bücher und Magazine, die von
Riesenmösen und
Elefantenpimmel handelten, blätterte sich immer wieder durch
Eselsohren, studierte die kaputten Gesichter, die ramponierten
Gestalten, und nach jeder Entladung graute ihm von den abgewrackten
Ärschen, dem lila Gerunzel.
Er zählte sein Kleingeld, dann gab er sich einen Ruck und ging
zur
Telefonzelle, die ein paar Straßen weiter stand. Fast
wünschte er sich, eine Wolke möge
herabstürzen, ihn
erschschlagen, eine Wolke vollgesogen mit Mondlich, dem Gewicht der
Nacht. Er wählte, ein Mann hob ab, ihr Vater, rief sie an den
Apparat. Georg glaubte, ihrem Atem zu spüren.
"Ja", sagte sie.
"Ich bins", sagte er.
"Wer?"
"Georg", sagte er, "Bleistein"
Es war, als würde er auf der anderen Seite des Erdballs
träumen.
"Achso", sagte sie.
"Ich wollte nochmal fragen, ob ich mich auf dich verlassen kann."
"Wer kommt alles außer mir?", fragte sie.
"Oh ein ganzer Haufen, lauter gute alte Freunde. Zugesagt hat jeder",
fuhr er fort.
"Um Acht?", fragte sie.
"Paßt", sagte er.
"Bis dann" sagte sie......
Georg vergaß, sich zu bedanken. Auf dem Heimweg versuchte er,
sich Erika vorzustellen, aber die Kälte betäubte sein
Geschlecht. Er hatte keine Übung. Er war nicht der
Draufgänger, nicht der ungestüme Vergewaltiger, der
anzügliche, leichtfertige Plauderer.
Als es auf Acht zuging, musste er sich wohl oder übel in
seiner
Tracht den beiden Frauen (Tante und Großmutter) zeigen. Wie
erwartet, fielen sie über seinen Aufzug her, obwohl sich auch
die
Großmutter ausstaffiert hatte und in einem lappigen
Kostüm
vor sich hinfror. Daran, dass sich beide Frauen umgezogen hatten,
merkte Georg, dass sie ihm und Erika Gesellschaft antun
würden,
und das behagte ihm ganz und gar nicht. Noch niemals zuvor war ihm
beider Anwesenheit unerträglicher erschienen. Er
wünschte
ihnen die Schlafkrankheit ins Blut, ein ihr Maulwerk lähmendes
Gift.
"Geht ihr aus?" fragte er grimmig und blickte böse auf die
beiden
Gestalten herab, die sein Warten beobachteten und ihn mit einer
Seelenruhe zermürbten.
"Wir möchten Deine Freunde kennenlernen", sagte seine Tante.
Beide machten gewichtige Gesichter und rührten sich nicht von
ihren Plätzen. Die Tante horchte sogar auf das Ticken der Uhr.
Georg stürmte in die Küche, um sich ein Bier
hineinzujagen,
in einem trügerischen Nebel fortzuschwimmen. Fast
hätte er
eine riesige Platte voll Wurst- und Käsebrote auf dem
Küchentisch gerammt; der Anblick dieser sinnlosen Menge
stimmte
ihn vollends kopflos. Er schraubte die die Flasche
Waldmeisterlikör auf, die für Erika gedacht war: das
Zeug
klebte süß, verwesend, er trieb es mit einem Bier
hinunter.
Längst war es acht Uhr vorbei. Die beiden Frauen betrachteten
ihn
mitleidig, wenn er Zigaretten verschlang. Er jedoch fühlte
sich
fast schon befreit, gewann zaghaft die Überzeugung, dass Erika
vielleicht nicht kommen würde. Fast war er froh.
ALS es dann auf Neun zuging, schellte es.
Der Ton zerfetzte seine aufgesetzte Gleichgültigkeit. Georg
hastete zur Haustür, hörte noch seine
Großmutter "Da
kommen sie, sie kommen!" rufen und sah durch die Milchglasscheibe
Erikas verwischte Gestalt. Er schluckte trocken, als er
aufschloß
und die Klinke drückte.
"High life?" fragte sie, kratzte auf dem Fußabstreifer
"Komm rein, sagte er mühsam und zog ihr den Mantel herunter.
Die Verwandtschaft erschien mit vorgestreckten Händen.
"Erika", stammelte er, "meine Tante, meine Großmutter!"
"Wohinß", fragte Erika.
"Hier herein, Fräulein, in die gute Stube", sagte die Tante.
Alles verschwamm. Hinterher wußte Georg nicht mehr, wer wem
Platz
angeboten hatte; er fing mit der Bewirtung an.
"Bin ich zu spät gekommen oder zu früh?", fragte
Erika. Sie
zog eine Zigarette aus dem Päckchen, das ihr Georg
entgegenhielt,
brach den Filter ab und rauchte schnappend.
"Weder noch", sagte Georg.
"Wir warten auf die anderen", sagte seine Tante.
"Haben sie Hunger?", fragte die Großmutter.
Erika kam nicht aus dem Neinsagen und Kopfschütteln heraus,
das
ihr, wie ihm schien, geradezu abverlangt wurde. Nach einer Pause, in
der alle hüstelten und schnieften, ergriff er verlegen das
Wort,
sagte: "Ich weiß auch nicht, ich warte, aber die lassen sich
alle
Zeit, kommen einfach nicht, in der Freizeit ist man nicht gern so
pünktlich, nicht wahr?"
Erikas Beine waren bis zu den Knien in zotteligen, tropfenden
Fellstiefeln versteckt. Wie flauschige Kloben ruhten sie auf den
teppich. Eine weiße Hose spannte sich um ihre
auseinandersteheden
Schenkel. Ihr Schoß war unter einem Pullover verborgen, der
Georg
vorkam wie ein verfilztes Netz, das auch die Brüste
plattdrückte. Ihr Gesicht brauchte Schlafm, ihre Augen
Erholung;
sie hätte schön sein können, wenn sie
tagsüber
geschont worden wäre.
Erika ließ sich nichts anmerken. Er bot ihr nochmal eine
Zigarette an; sie vergaß sie im Aschenbecher. dann holte er
den
grünen Likör und füllte vier
Gläser. seine
Großmutter wollte mit jedem anstoßen,
seine Tante
erzählte, wieviel Zeit es koste, so viele Brote zu
bestreichen.
Und natürlich fand er nichts Passendes im Radio. verzweifelt
drehte er an den Knöpfen. Erika nippte an ihrem Glas; dann
stellte
sie es weit von sich.
Er konnte ihr nicht zur Hilfe eilen, ihre steife Haltung in einer
Umarmung mildern, konnte ihren fragenden Blicken nicht standhalten,
brachte nur ab und an ein Lächeln zustande mit knirschenden
Zähnen, anschwellendem Kiefer, das nichts nützte,
nichts
änderte.
"Geht die Uhr wirklich richtig?", fragte sie.
"Wie lange kennen Sie denn unseren Georg schon?", fragte seine Tante.
"Überhaupt nicht!", sagte Erika und lächelte sie aus.
Wolken sanken von der Decke herab, Nebel stieg vom Teppich auf. Er
schleppte die Platte mit den belegten Broten herein, aber Erika dankte
ab, er stieg in den Keller und kam, den Hals einer Flasche
Edelschaumwein umklammernd zurück, sagte wild: "Zur Feier des
Abends!" holte Sektkelche, schoß den Korken in die Brote,
schenkte tüchtig ein und soff Ex. Danach war es ihm, als
könnten sie sich vielleicht doch noch alle prächtig
miteinander vertragen.
"Auf unser Wohl!", sagte er matt. "Warum trinkt ihr nicht? Schmeckt wie
Sekt! Prosit!" Dann fragte er Erika, welche Musik ihr denn so gefalle.
Sie zählte die Namen einiger Schlagersänger auf, die
ihm vom
Hörensagen bekannt vorkamen, von Großmutter und
Tante
erfreutem Nicken als berühmte
Persönlichkeiten
bestätigt wurden.
Stockend erzählte er von seiner Plattensammlung, oben in
seinem
Zimmer, fragte ob Erika sie anschauen möge. Sie grinste
wissend
und ablehnend. Georg packte die Flasche Likör, in einer
Aufwallung
von Trotz ging er zur Tür. Erika folgte ihm.
"Nicht unter meinem Dach!", sagte da die Tante.
Georg kehrte auf dem Absatz um, schob Erika sacht beiseite, ohne zu
bemerken, dass er sie zum ersten Mal berührte, wenn auch nur
mit
der geballten Faust, war mit einem Schritt am Tisch und gab ihm einen
Tritt, dass die Gläser umstürzten.
"Das ist mein Fest!", sagte er. "Das feier ich, wie es mir
paßt.
Sie ist mein Gast, meiner, ich bin kein Kind mehr, wir gehn jetzt auf
mein Zimmer." Es war schwer für ihn, den Trotz durchzuhalten.
Er
hatte sich endlich aufgebäumt, einen Angriff gewagt, wie er
ihm im
Traum nicht eingefallen wäre, hatte bewiesen, dass ein Mann
sein
recht verlangen konnte, verlegen zwar, doch ernst genug und mit
Nachdruck.
Das Gesicht seiner Tante war in Würde erstarrt. Seine
Großmutter zeigte sich eingeschüchtert; ihre Finger
krampften sich ins nasse Tischtuch.
"Warten wir lieber, bis Deine Freunde kommen", sagte Erika.
"Nein!" erwiderte er schroff.
"Frau Bleistein", sagte Erika einlenkend, "es dauert nicht
lange".
"Meine Tante heißt Götz!", sagte Georg.
"Und ich Erdner!", sagte seine Großmutter. "Gib den Buben
seinen
Willen, Meta, in Gottes Namen."
Draußen im Flur deutete Georg die Treppe hinauf. Auf halber
Höhe sagte Erika ohne sich umzudrehen: "Hör mal,
welche
Scheißrolle spiel ich da in dem Saustall?"
"Sonst sind sie nicht so", sagte er.
Ihr Schlüpfer zeichnete sich durch die weiße Hose
ab. Prall
ragte ihm ihr Gesäß ins Gesicht.
"Ich möchte wissen, was hier eigentlich läuft", sagte
Erika.
"Theater kann ich auch daheim haben."
"Es tut mir leid", sagte er, "denk nicht daran!"
In seinem Zimmer machte er Licht, zündete eine Kerze an,
knipste
das Licht wieder aus; Erika blieb mitten im Zimmer stehen. Er legte
eine Platte auf, "Having a Party", las er von der Hülle ab,
"Third
World". Sie sah sich um, furchtsam fast, er drückte ihr ein
Glas
Likör in die Hand, sagte: "Da haus ich!" Dann hockte er sich
aufs
Bett. Er hörte kaum Musik, so schlug ihm das Herz.
"Gefällt die sowas?", fragte sie. "Ist aus Jamaika!", sagte er.
"Da schrein ja die Affen schöner", sagte sie und schaute
angeödet auf das Gekrakel an den Wänden. "Love"
buchstabierte
sie. "Amore", fügte sie nach einer Weile hinzu, "Fickificki,
hm?
Bist Du kein Deutscher?"
Sie kniete sich auf den Bettvorleger und wühlte die
Plattenhüllen durch. Jetzt fielen ihre Brüste vor,
und Georg
träumte seine Hände in ihren Nacken, der durch die
Haare
schimmerte.
"Nichts für mich!" wiederholte sie ständig und suchte
weiter.
"Nichts! Rein gar nichts! Lauter Negermusik! Wie in der Disco! Ich kann
nichts finden!"
Sie stand auf. Georg rückte zur Seite; sie setzte sich nicht
neben
ihm, ging auf und ab.
"Willst du hier tanzen?" fragte sie. "Du hast einen Geschmack wie ein
Bananenlutscher! Lauter Krampf! Lauter Glump!"
Er wusste nicht, ob ihr verächtliches Gehabe, ihr
entrüstetes
Getue echt waren oder nur gespielt. Er wollte sich auch nicht dagegen
wehren, er schwieg lieber.
"Warst du bei der Bundeswehr?", fragte sie.
"Untauglich - gewesen", sagte er.
"Weißt du, ich mag Soldaten, weil das nämlich
Kavaliere
sind. Magst du Fußball?" "Nicht so", sagte er vorsichtig.
"was magst du dann?"
"Naja", sagte er, "da muss ich erst mal nachdenken, Musik hör
ich
gern, manchmal les ich ein Buch, ab und zu geh ich Essen, ins Kino
selten, naja, was man halt so macht. Und du?"
Sie ruckte mit den Achseln. "Es ist nichts los hier", sagte sie dann.
"Die Disco, das ist aber auch schon alles. Und die Arbeit, die reicht
mir. Ich hätte gedacht, du bringst ein bisschen Leben in die
Bude,
ein bisschen Jubel, Trubel ein paar Runden Tanz, meinetwegen einen
Knutscher in Ehren. Stattdessen hängst du rum wie ein Wurm,
wie so
ein kranker. Du kannst bald allein warten! Wann kommen deine Leute?"
"Vielleicht gar nicht", flüsterte er plötzlich.
"Was soll das heißen: vielleicht gar nicht?"
"Vielleicht haben sie erfahren, dass ich dich eingeladen hab", sagte
er. "Ich finds so ganz gut!"
"Gut? Was gut? Wie gut? Du willst doch nicht sagen, dass es keine Party
gibt, dass das ein Bluff war, ein Trick von dir? Für was
hältst du mich? Was bildest du dir überhaupt ein?
Warum hast
du deine Fete nicht gleich im Altersheim gemacht? Ich geh!"
"Du hast mir gefallen", sagte Georg.
"Du Pfeife!", sagte sie. "Dein Kompliment ist fast schon eine
Beleidigung."
Er verstand nicht und sah sie ratlos an.
"Weil es von dir kommt", sagte sie, "von so einem wie dir, drum ist es
mir nichts wert!"
Er ließ sich vom Bett sinken und sammelte die
Schallplattenhüllen ein.
"Weißt du, was mich wundert?", fragte sie. "Dass du
mir
keine Märchen vorgelesen hast!"
"Mach Licht!", sagte er. Dann blies er die Kerze aus.
"Die beiden alten Weiber haben dich ganz schön am Arsch, mein
Lieber", sagte sie. "Um eins möcht ich dich wirklich bitten:
laß sie bloß nicht in dem Glaube, wir
hätten etwas
miteinander gehabt! So einer wie du, davon könnt ich mit
Leichtigkeit zehn Stück an jeden Finger kriegen."
Er kam nicht gegen die Vorstellung an, ihr die Hände
abzuhacken,
die glasweißen Stümpfe in Ketten zu schmieden, sich
an ihr
vergehend seine Liebe zu erklären. Dann dachte er, ich
möchte
dein Haar in Honig baden, deine Haut mit Zucker pudern,
einfach
gut sein. Er hätte es sich gerne gefallen lassen, wenn sie ihn
mit
ihren Füßen gestreichelt, mit ihren Zehen gekrault
hätte. Natürlich wußte er aus
Büchern und
Filmen von der sanften Gewalt, die immer dann angewendet wurde, wenn es
galt, gespielten Widerstand zu brechen, nur er war nicht fähig
dazu. Er hätte sich schon im Türrahmen verkeilen
müssen,
um Erika dabehalten zu können.
"Ich bring dich hinunter", sagte er. "Schön dass du gekommen.
Es
hat mich gefreut." Er sagte das laut, die Treppe hinab; die beiden
Frauen im Wohnzimmer sollten es hören.
Im Flur zerrte er ihren Mantel vom Haken und warf ihn ihr vor die
Füße.
"Hau ab!", sagte er. Es klang wie eine Bitte.
Erika verabschiedete sich nicht, von niemanden.
Er stelle sich vor, im Grab zu liegen, den Sarg noch offen, und oben am
Rand, da steht sie, von seinen tausend Freunden getröstet, und
ein
Tonband spielt "Burn it down" von "Dexys Midnight Runners", ganz laut
die Orgel, die weinende Stimme, und er ist der
allerglücklichste
Tote.
Bäcker oder Konditor,
hatte
er damals auch nicht werden wollen, Metzger erst recht nicht, also
machte er einen Maurer, wie Onkel Simon einer war.
Das viele Bier war das beste an der ganzen Arbeit, jeder Tag ein
Trinkfest.
Dass er nicht schwindelfrei war, verleidete ihm den Beruf. Wenn er aufs
Gerüst geschickt wurde, kniete er oben auf den Bohlen, dei
sich
schaukelnd durchbogen, und kam sich vor wie ein abstürender
Vogel
im Wind.
Dezember 2006
Der
Herbst der ein Sommer
war, der Winter der ein Herbst ist.
Ich liebe dieses Zischen, Pfeifen, und Knallen, das Heulen der Raketen,
der Geruch von Schwefel,
das Zündeln, die Erwartung an den Abend, die manchmal viel zu
groß gesteckt ist.
Auf die Frage; wer kommt denn alles, kann man kaum etwas antworten, was
will er hören, die
und die, dann die noch. Keiner kommt, ist auch nicht schlimm so.
Es kommt keiner mehr, weil keiner mehr kommt. Macht jeder fein sein
Süppchen, der andere
spielt da keine Rolle mehr.
Als ich dort saß kam die Katze, die dort jeden Tag ihr
Fresschen
bekommt. Man muss die ein
Leben führen, diese Kälte, nun ja es ist ja eher
feucht, aber
trotzdem, schön muss es für das
Kätzchen nicht sein.
Genauso wie mit “meine” Spatzen
und der Taube, nun ist nichts mehr
mit
Sonnenschein, kein sonnen in der Sonne, ein Überlebenskampf
ist es
jetzt vielmehr.
Aber die Sonne kommt wieder, bestimmt. Bis sie irgendwann mal nicht
mehr aufgeht, für den
ein oder anderen. Die Sonne ist sowieso nicht mehr das was sie mal war.
Keine kommende Wärme
mit Sonnenstrahlen, keine langsamen Übergänge, nein
da kommt
plötzlich knüppelhart
der Wetterumschwung, das es einem fast aus den Socken holt.
Dann kaum genossen und schon vorbei, keine Zeit, von einem Zahltag zum
nächsten, dazwischen
wie bei den Spatzen (Tieren) im Winter, ein Überlebenskampf.
Termine mal gemacht, da muss man aber auch Glück haben,
Telefonate, Handys und die ganze
Nerverei. Terminplaner, dennoch wird man vergessen,
rücksichtslos,
gnadenlos.
Diese Tischfeuerwerke, in diesen bunten Pappdöschen, bedruckt
mit
schönen Frauen, Geld,
Kleeblätter, Schornsteinfeger, mit Partys wie man sie sich
wünschte. Der obligatorische Teller
darunter, das vorsichtige anzünden, dann das in Deckung gehen,
im
Kopf die Wünsche und
Gedanken fürs nächste Jahr, was wird es bringen.....,
dann
der Knall. Das Suchen am Fußboden,
meistens nur kleines Nippes und als Dankeschön oben drauf
stickt
es nach Scheiße.
Toll diese Tischfeuerwerke.
Man ist das eine Gesellschaft, so viel Ellenbogen kann es doch gar
nicht geben.
Der Duft von ihr erfüllt noch den Raum, der Duft der
schönsten Parfüms, Cremes, nun erfüllt
die Stille den Raum, die Einsamkeit, die Dunkelheit, passend zum
Wetter. Aber der Frühling
kommt wieder, die Sonne wird wieder strahlen, die Wolken tiefblau vom
Himmel strahlen.

Allen, auch die nicht an mich denken, weil sie zu viel zu tun haben, so
arg beschäftigt sind, die mir
nicht schreiben, die nicht großartig mit mir reden, die mich
nicht sehen, die mich nicht grüßen, die mich
nicht mögen,die mich ausgenutzt, die mich hassen, die etwas
besseres sind, die klüger und erfolgreicher
dastehen, die
alles nur gespielt, aber vor allem
diejenigen die viel an mich gedacht,
die viel für mich getan,
die
mich geliebt haben wünsche
ich ein erfolgreiches neues Jahr 2007!
Scott Lakewood 31.12.2006
Morbus Menière
Von
Dr. med Eberhard Biesinger
Facharzt für
HNO-Heilkunde
Bei der
Menièr´schen
Erkrankung handelt es sich um ein fest umschriebenes Krankheitsbild
mit den Symtomen Druckgefühl im Ohr, Drehschwindel
über
Stunden einschließlich Erbrechen und zunehmender
Schwerhörigkeit des betroffenen Ohres. Eine Variante des
Morbus
Menière ist das sogenannte Lermoyez-Syndrom, wobei die
Patienten während des Drehschwindelanfalles eine
Hörverbesserung
beschreiben. Die genaue Ursache des Krankheitsbildes ist nicht
bekannt, jedoch ist man sich heute sicher, daß die
Auslösung
der Schwindelanfälle und auch die Ursache der
Schwerhörigkeit
in einem sogenannten Hydrops des Innenohres, also einer
pathologischen Druckerhöhung der Innenohrflüssigkeit
zu
suchen ist. Da man diese Pathomechanismen hierfür sehr gut
kennt, besteht ein klares Konzept zur Behandlung des Morbus
Menière.
Oft
beginnt die Krankheit mit einer
Störung im Tieftonbereich und dem Anzeichen von Ohrdruck, bis
dann die ersten Schwindelanfälle auftreten. In diesem Stadium
besteht die Therapie aus der Anwendung bestimmter Medikamente
(Betahistidin, z.B. Aequamen(r)) und der kurzzeitigen Anwendung von
wassertreibenden Medikamenten (Diuretika). Ist damit ein Sistierten
der Schwindelanfälle nicht zu erreichen, kommt der
hörerhaltende
operative Eingriff, die sogenannte Saccotomie in Betracht.
Der sogenannte
Saccus
endolymphaticus bildet das Wasserreservoir des Innenohres. Dieses
Reservoir liegt eingebettet im Knochen hinter dem Ohr und diese
knöcherne Einbettung spielt bei der Krankeit des Morbus
Menière
eine besondere Rolle: das Wasserreservoir kann sich bei
Druckerhöhung
nicht ausdehnen. Das Prinzip der Operation besteht darin, diesen
Saccus endolymphatikus aufzusuchen und ihn von seiner
knöchernen
Schale zu befreien.
Diese
Operationstechnik verlangt
aber eine spezielle Ausbildung, da es nicht einfach ist, die Struktur
aufzufinden und zu identifizieren. Wird die Operationstechnik jedoch
beherrscht, handelt es sich um einen ungefährlichen Eingriff,
der die Schwindelanfälle zu erliegen bringt und mit etwas
Glück
sogar zu einer besseren Hörfähigkeit des betroffenen
Ohres
führt. Die Problematik dieser Operatonstechnik hat in der
Wissenschaft zu heftigen Diskussionen geführt. Es gibt viele
Ärzte, die den Erfolg dieser Operation anzweifeln. In
Deutschland wird die richtige Operationstechnik nur noch von wenigen
Schulen beherrscht und gelehrt.
Nur in seltenen
Fällen wird
als weitere Maßnahme die Zerstörung des
Gleichgewichtsnerven mittels Einbringung einer toxischen Substanz
(Gentamycin) in das Mittelohr oder der Durchtrennung des
Gleichgewichtsnerven (selektiven Neurektomie des Nervus Vestibularis)
durchgeführt. Diese beiden Verfahren, ob medikamentös
oder
operativ, bergen die Gefahr einer Hörverschlechterung oder gar
Ertaubung durch die Therapie selbst in sich. Sie beeinflussen auch
nicht das pathophysiologische Geschehen der Druckerhöhung im
Innenohr. Sie behandeln lediglich die Auswirkungen dieser
Druckerhöhung nämlich die Schwindelanfälle.
Auch nach
diesen Maßnahmen wird es weiterhin zu einer zunehmenden
Verschlechterung des Gehörs kommen. Dieser Umstand
muß bei
der Auswahl der Therapiemaßnahmen beachtet werden. Neben
diesen
Grundprinzipien der Behandlung des Morbus Menière spielen
wie
bei allen Innenohrerkrankungen ernährungsphysiologische
Überlegungen eine Rolle, also gesunde Ernährung, kein
Nikotin, eher salzarme Ernährung und die Diagnostik und
Behandlung von Störungen der Halswirbelsäule und der
Kiefergelenke.
Eine
sehr wichtige Rolle spielt die psychologische Betreuung und
Behandlung: der Menière-Patient ist infolge der
überfallartig
einsetzenden Schwindelanfälle entsprechend
verängstigt. Aus
Sorge, diesen Zustand in der Öffentlichkeit zu erleiden,
vernachlässigen fast alle Menièrepatienten ihr
soziales
Leben und ziehen sich zurück. Vereinsamung, Unsicherheit und
Ängste sind die Folge. Nach einer geglückten
medizinischen
Behandlung mit Beseitigung der Drehschwindelanfälle bleiben
diese Probleme oft zurück. Der Patient selbst kann sein
Befinden
dann meist nicht richtig ausdrücken, für ihn besteht
weiterhin eine Unsicherheit, die gerne auch als "Schwindel"
dargestellt wird. Dieser "Schwindel" ist jedoch unbestimmt
und ganz anders als der für die
Menièr´sche
Krankheit typische Drehschwindel! Er ist Ausdruck der genannten
Unsicherheit im psychischen Bereich und nur gut zu verstehen, da die
Patienten oft jahrelang diesen als lebensbedrohlich empfundenen
Attacken ausgesetzt waren. Aus diesem "Restzustand" nach
Beseitigung der Drehschwindelanfälle resultiert nicht selten
der
Eindruck, die medizinische Behandlung hätte "versagt".
Eine
genaue Analyse der Symptome
und eine psychologische Diagnostik durch speziell für diese
Thematik geschulte Psychologen zeigt die Problematik schnell und gibt
klare Handlungsstrategien, damit der Patient wieder zu einem
normalen, unbeschwerten Leben im privaten und beruflichen Bereich
zurückfinden kann.
Um
das individuelle Stadium der Erkrankung zu diagnostizieren und
entsprechende Behandlungsschritte einleiten zu können, ist
meist
ein kurzer (ca. 10-tägiger) stationärer
Klinikaufenthalt
sinnvoll. Sind dann die richtigen, d.h. stadiengerechten
Therapieschritte eingeleitet, kann der Patient sicher zum
Therapieziel geführt werden: dem Leben ohne
Schwindelanfälle!
Eingebettet
in die Therapie der
Drehschwindelanfälle ist die Behandlung und Betreuung des oft
lästigen Tinnitus, dem die Patienten in mehr oder weniger
ausgeprägter Form ausgesetzt sind. Erfreulicherweise haben
sich
auch bei der Therapie des chronischen Tinnitus viel getan. Mit der
Einführung der sogenannten Retrainingtherapie
sind Behandlungskonzepte entstanden, die zwar keine Beseitigung des
Tinnitus versprechen können, jedoch das Ziel, nämlich
die
Verringerung der psychischo-akustischen Belastung durch das
Ohrgeräusch, in den meisten Fällen erreichen
können!
Wertvolle Hilfsmittel sind dabei sogennnte Tinnitusmasker und bei
gleichzeitiger Schwerhörigkeit der Einsatz von
Hörgeräten.
Auch die
Patienten organisieren
sich: sowohl für Patienten mit Tinnitus, als auch für
Patienten mit Morbus Menière steht die Deutsche
Tinnitusliga mit
viel Information und Selbsthilfe zur Verfügung.
Schwindel
Meniersche
Krankheit (Morbus Meniere)>>> Texte aus dem
Internet!
Die
Meniersche Erkrankung wurde erstmals 1861 vom franz.
Ohrenarzt
P. Meniere beschrieben. Bei der Menierschen Erkrankung handelt
es sich um das anfallsweise Auftreten von Ohrgeräuschen,
Hörminderung, Schwindel, evtl. Übelkeit und
Erbrechen. Ein
typischer Meniereanfall setzt akut ein, die Beschwerden können
Stunden bis zu Tagen anhalten u. bessern sich langsam. Typischerweise
treten die Anfälle 1-2x jährlich auf, das
Anfallsmuster
weist allerdings eine große Variation auf: Es gibt Personen
die
nur einige Anfälle in ihrem Leben erdulden müssen,
ohne
dass eine bleibende Schwerhörigkeit bleibt. Bei anderen
Erkrankten verläuft die Erkrankung oft schubweise
über
Jahre hinweg, wobei sich das Hörvermögen
anfänglich
weitgehend erholt, im Laufe der Zeit bleibt aber meist auf dem
betroffenen Ohr eine mittel-bis hochgradige Schwerhörigkeit
bestehen bleibt.
In
ganz wenigen Fällen gibt es schwerere
Krankheitsverläufe,
d. h. es kommt zu sehr häufigen
Meniereanfällen
(z. B.
im Abstand von wenigen Tagen bis Wochen), dauernden
Gleichgewichtsstörungen und stark ausgeprägter
Schwerhörigkeit.
Normalerweise
ist nur ein Ohr betroffen, in relativ seltenen
Fällen auch beide Ohren.
Ursache
der Menierschen
Erkrankung
Das
Innenohr ist
flüssigkeitsgefüllt, es besteht aus
zwei Flüssigkeitsräumen, die mit Perilymphe und mit
Endolymphe gefüllt sind. Bei der Menierschen Erkrankung kommt
es
zu einer Störung der Elektrolytzusammensetzung beider
Flüssigkeiten, dadurch ist die osmotische Druckregulierung
insbesondere in der Endolymphe gestört, es kommt dadurch zu
einer Druckerhöhung im endolymphatischen System. Hier liegen
die
Sinneszellen, die für die Registrierung von Schallwellen
wieauch
von Gleichgewichtsstörungen zuständig sind. Diese
werden
durch die Elektrolytverschiebungen sowie durch die
Druckerhöhung
in ihrer Funktion beeinträchtigt und führen so zur
Hörstörung sowie zur Gleichgewichtsstörung.
Leider
sind die
genaueren
Hintergründe dieser Erkrankung
immer noch nicht bekannt, dementsprechend ist es schwierig, eine
gezielte Behandlung dieser Erkrankung durchzuführen.
Die
ersten
Meniereanfälle sind oft relativ milde, so dass sie
anfänglich nicht eindeutig als Meniereanfälle erkannt
werden können. So kommt es oft nur zu einem leichten
Ohrgeräusch, manchmal verbunden mit einer leichten
Einschränkung
des Hörvermögens, meist im Tieftonbereich. Dies wird
anfänglich oft als milder Hörsturz verkannt, erst
rückblickend nach Jahren zeigt sich, dass dies das erste
Auftreten einer Menierschen Erkrankung war. Andere Patienten weisen
lediglich einen Schwindel auf, der an den plötzlichen Ausfall
eines Gleichgewichtsorgans denken lässt (Neuropathia
vestibularis). Wieder andere Patienten weisen sämtliche
Symptome
eines Menierschen Anfalls auf (Ohrgeräusche,
Hörminderung,
Gleichgewichtsstörung), allerdings in derart
abgeschwächter
Form, dass sie gar nicht genau formulieren können, was ihnen
eigentlich fehlt. Sie geben dann oft an, etwas unsicher zu sein und
einen leichten Druck auf dem Ohr zu haben.
In diesem
Stadium ist
die
Meniersche Erkrankung kaum zu erkennen.
Behandlung
des Morbus Meniere
Eine
klare, eindeutige
und
sicheren Erfolg versprechende
Behandlung der Meniere´schen Erkrankung existiert nicht. Es
existieren zahlreiche Therapievorschläge, einige Eckpunkte der
Behandlung sind im folgenden dargestellt.
Im akuten
Anfall steht
die
Übelkeit und das Erbrechen im
Vordergrund, hier ist kurzfristige Bettruhe und die Dämpfung
dieser heftigen Beschwerden z. B. mit Vomex-Zäpfchen
sinnvoll. Möglichst bald sollten jedoch die
körperlichen
Aktivitäten wieder aufgenommen werden, um die zentralen
Kompensationsvorgänge zur Unterdrückung des
Gleichgewichtstörung zu fördern (siehe oben).
Daneben
werden
Infusionen mit
durchblutungsfördernden
Substanzen verabreicht, oft werden auch verschiedene dieser
Substanzen in Tablettenform angeboten, z. B. Trental bzw.
Pentoxifyllin.
In den
letzten Jahren
wurde oft
auch versucht, mit einer
hyperbaren Sauerstoffbehandlung (HBO), also einer Behandlung mit
Sauerstoff in einer Überdruckkammer, eine Besserung zu
erzielen.
Die Ergebnisse sind umstritten, diese Behandlung scheint sich im
Rückzug zu befinden.
Sehr
beliebt ist die
Behandlung
mit Betahistin in Tablettenform
(Melopat, Aequamen, Vasomotal). Diesem Präparat wird
zugeschrieben, die Häufigkeit, die Dauer und die
Stärke von
MeniereAnfällen zu beeinflussen.
In
schwersten
Fällen
und bei mangelndem Ansprechen auf
konservative Therapiemaßnahmen kommen als
äußerste
und letzte Maßnahmen auch operative Verfahren in Betracht:
Transtympanale
medikamentöse Zerstörung der Sinnesendstellen des
Vestibularorgans mit Gentamicin (chemische Labyrinthausschaltung).
Dabei wird ein winziger Schlauch hinter das Trommelfell gelegt und
täglich Gentamycin in das Ohr eingegeben. Bei richtiger
Dosierung werden letztlich die Gleichgewichtsorgane dieses Ohres
zerstört und können keine Ausfälle mehr
auslösen.
Operaive
Eröffnungen des Innenohres mit Druckentlastung des
endolymphatischen Systems (Saccotomie, Saccusdekompression,
Vestibulotomie)
Operative
Entfernung des Gleichgewichtsorgane eines Ohres oder Durchtrennung
des Gleichgewichtsnerven (Labyrinthektomie, Neurektomie des N.
vestibularis)
All diese
operativen
Maßnahmen haben den Nachteil, das
betreffende Ohr mehr oder minder stark zu schädigen oder gar
zu
zerstören. Sollte dann später die Menieresche
Erkrankung
auf dem anderen Ohr auftreten (glücklicherweise sehr selten,
aber durchaus möglich!!!), so besitzt die entsprechende Person
bei stärkerer Ausprägung der Meniere´sche
Erkrankung
kein funktionierendes Gleichgewichtsorgan und möglicherweise
kein sinnvolles Hörvermögen mehr. Operative
Maßnahmen
bleiben daher die absolute Ausnahme!!!
Drehschwindel
(Morbus Meniere)
Viele
Menschen kennen die
plötzlichen
Schwindelgefühle. Und es gibt viele Ursachen, wie zu niedriger
Blutdruck, Müdigkeit, Unterzuckerung, möglicherweise
ein
Vorbote für einen Schlaganfall oder eine
Innenohrentzündung,
denn da befindet sich auch das Gleichgewichtsorgan.
Eine häufige
Ursache für Drehschwindelattacken ist der sogenannte 'Morbus
Menière', erstmals im vorigen Jahrhundert von dem
französischen Arzt Prosper Menière beschrieben.
Neben den
anfallartigen Drehschwindelattacken treten Ohrensausen und
Schwerhörigkeit auf. Die Attacken dauern meist von
einigen
Minuten bis zu einigen Stunden, und die Symptome treten
typischerweise nur einseitig auf. Die Anfälle können
durch
psychischen Stress ausgelöst werden und belasten den Patienten
sehr. Ein Menière-Patient traut sich kaum noch auf der
Straße
aus lauter Angst vor dem nächsten Schwindelanfall!
Die
Krankheit entsteht durch eine Flüssigkeitsstauung im
Gleichgewichtsorgan, im Labyrinth.
Ein Menière-Patient hat
während des Anfalls einen sogenannten Nystagmus. Die Augen
bewegen sich dann hin und her, und zwar langsam hin und schnell
zurück.
Normalerweise tritt ein Nystagmus nur auf, wenn wir
einem sich bewegenden Gegenstand, einem vorbeifahrenden Zug z.B., mit
unseren Augen folgen. Die Augen bewegen sich mit dem Zug mit,
springen dann schnell zurück und bewegen sich wieder mit.
Die
Augen folgen den sich bewegenden bunten Pünktchen, springen
zurück, folgen wieder, springen zurück, usw. Diese
Augenbewegungen nennt man 'Nystagmus'.
Wenn ein Nystagmus spontan
auftritt, ohne daß wir auf etwas sich Bewegendes schauen,
entsteht der Eindruck, daß sich unsere Umgebung bewegt. Es
entsteht ein Drehschwindelgefühl.
Nun, was kann man dagegen
tun?
Wichtig ist das Abbauen von Stress. Man soll versuchen, ein
bißchen zur Ruhe zu kommen. Und man sollte auf Zigaretten,
Kaffee und Alkohol verzichten.
Die Therapie der Menière-
Krankheit besteht einerseits aus Mitteln, die gegen Schwindel wirken
und andererseits Mitteln, die die Durchblutung verbessern. Eine
drastische Maßnahme ist das Antibiotikum Gentamycin, das den
Druck auf das
Gleichgewichtsorgan im Innenohr verringert. Aber
Vorsicht! Es kann zu einem bleibenden Hörverlust
führen!
Ein Trost ist, daß die Erkrankung oft spontan heilt - bei
90% sind alle Symptome nach 5 Jahren verschwunden.
Morbus
Menière
Erstbeschreiber
war
1861 der
französische Arzt Prosper
Menière. Die Menière'sche Krankheit tritt am
häufigsten
zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf, kann aber auch
jüngere
Menschen betreffen. Die Inzidenz beträgt zwischen 17
und
350 pro 100 000 und Jahr. In speziellen Schwindelambulanzen mach das
Syndrom etwa 7% der Schwindelpatienten aus. Man nimmt nach
Untersuchungen an, dass etwa 0.2% der Bevölkerung an dem
Syndrom
leidet, auf Grundlage von Fehldiagnosen aber etwa 10x so viele der
Auffassung sind, an dieser Erkrankung zu leiden. Bei jedem 5. gibt es
eine positive Familienanamnese, so dass eine genetische Komponente
für möglich gehalten wird. Vorausgegangene
Virusinfekte,
Allergien, Rauchen, Stress, Übermüdung,
Alkoholmissbrauch
und die Einnahme von Aspirin begünstigen
möglicherweise das
Auftreten eines Menière'schen Syndroms. Akute
Episoden
des M. Menière treten meist in Clustern (Episoden mit
häufigen
Anfällen) mit einer Frequenz zwischen 6-11 Cluster pro Jahr
auf,
die Zeiten der Symptomfreiheit oder Remission kann aber auch mehrere
Monate oder Jahre betragen. Die Episoden treten in den ersten Jahren
mit zunehmender Häufigkeit auf und†nehmen dann im
Zusammenhang
mit dem Verlust des Gehörs ab. Zwischen den einzelnen Attacken
sind die meisten Patienten symptomfrei oder haben einen leichten
Tinnitus, bzw. einen leichten Schwindel. In den meisten Fällen
verschwinden die Schwindelattacken irgendwann völlig. Der
wechselhafte, letztlich nicht vorhersagbare Verlauf macht
Therapiestudien oder die Bewertung eines Therapieerfolges bei dieser
Erkrankung schwer.
Symptome:
30-45%
der Patienten
berichten
eine Aura, die der Attacke um
wenige Minuten vorausgeht. Die Aura besteht aus leichteren oder
Teilsymptomen der Attacke mit Tinnitus,
Hörminderung,
Ohrdruck oder Völlegefühl im Ohr. Bei den meisten
Patienten
treten diese Symptome anfangs nur einseitig auf. Nach der kurzen Aura
tritt dann das Vollbild der Attacke mit heftigen Symptomen auf.
Meistens kommt es zum plötzlich einsetzenden Ohrdruck mit
Hörminderung, Ohrgeräusch (Tinnitus)
sowie einem heftigen Drehschwindel (der Betroffene sieht die Umgebung
sich Drehen) mit Übelkeit, Schweißausbruch und
Erbrechen.
Sehr selten kommt es während einer solchen Attacke auch zu
einem
Bewusstseinsverlust (Ohnmacht),
letztere kann ganz plötzlich eintreten und wird auch als
Otolithenkrise nach Tumarkin bezeichnet. Während der Attacke
ist
zumindest so lange der Drehschwindel vorhanden ist, auch ein
Nystagmus (entweder horizontal oder horizontal- rotatorisch) zu
beobachten. Diese Beschwerden klingen über Minuten bis Stunden
langsam ab. Leichtere Gleichgewichtsstörungen können
mehrere Tage nach der Attacke anhalten. Bei 3% der Patienten
ist Tinnitus das erste Symptom einer beginnenden oder drohenden
Attacke, bei 42% der Hörverlust, bei 11% der
Drehschwindel, bei den anderen 44% tritt der Schwindel und der
Hörverlust gleichzeitig auf. Für die Patienten kann
es
nützlich sein, die Frühsymptome zu kennen und richtig
einzuordnen. Während der Attacken können die
Betroffenen
nicht Autofahren, Fahrradfahren, Schwimmen oder auf Leitern steigen
und auch sonst keine gefährlichen Tätigkeiten
ausüben.
Da insbesondere zu Beginn der Erkrankung oft nur ein Symptom alleine
auftreten kann, ist das Erkennen des M. Menière als Ursache
plötzlicher Drehschwindel-Attacken häufig sehr
schwierig
und manchmal nur im weiteren Krankheitsverlauf
möglich.
Eine Hörminderung kann die Attacken überdauern. Die
Patienten sind nach einer Attacke oft erschöpft, viele haben
ein
Bedürfnis sich hinzulegen und zu schlafen.
Das Menière'sche
Syndrom ist ein Sammelbegriff
für
in Kombination auftretende Symptome mit Tinnitus,
Hörminderung,
Völlegefühl im Ohr, und wiederkehrende, spontane
Drehschwindelattacken. Verschieden Ursachen sind bekannt. Vom Morbus
Menière, oder der Menière'schen
Erkrankung
spricht man wenn keine Ursache bekannt ist und ein endolymphatischer
Hydrops vorliegt. Daneben können Traumen,
möglicherweise
auch operative Eingriffe am Ohr oder auch am Kopf, Virusinfekte wie
Masern, Mumps (auch mit etwas zeitlicher Verzögerung) ein
Meniere'sches Syndrom auslösen. Spätstadien der
Syphilis
und das Cogan-Syndrom ursächlich sein. Am häufigsten
ist
der M. Menière bei dem wie genannt keine spezielle
ursächliche
Erkrankung bekannt ist, die genannten Ursachen müssen
für
diese Diagnose ausgeschlossen worden sein.
Beim M.
Menière
besteht ein endolymphatischer
Hydrops, dies bedeutet, dass der Druck der Endolymphe im
membranösen Labyrinth des Innenohres erhöht ist. Es
handelt
sich um eine Innenohr-Erkrankung, bei der die Produktion der
Innenohr-Flüssigkeit (Endolymphe) gestört ist, so
dass
plötzliche Flüssigkeits-Verschiebungen (Hydrops=
Flüssigkeitsansammlung) auftreten können. Die
Endolymphe
ist dabei die Flüssigkeit, die im häutigen Labyrinth
des
Innenohrs vorhanden ist. Beim M. Menière
kommt es
zu einer abnormen Flüssigkeitsansammlung im Innenohr, die dann
die Bogengänge, die für das Gleichgewicht wichtig
sind und
die Schnecke die für das Hören wichtig ist,
zusammendrückt. Etwa die Hälfte der
Erkrankten
bekommen im Laufe eines Jahrzehnts auch auf dem anderen Ohr
Beschwerden. Meist ist keine Ursache bekannt. Selten ist eine
Ursache die den endolymphatischen Hydrops erklärt
auffindbar. Ursachen können eine Felsenbeinfraktur, Syphilis,
Hypothyroidismus (Schilddrüsenunterfunktion), das Cogan's-
Syndrome und die Mondini Dysplasie sein. Die direkte Verursachung des
M.Menière durch den endolymphatischen Hydrops ist noch nicht
bewiesen. Die Erkrankung ist nicht immer einfach zu diagnostizieren
und es gibt keinen 'Gold Standard' für die diagnostischen
Tests.
Die Erkrankung wird von Nicht- Spezialisten zu
häufig
diagnostiziert. Nach der American Academy of Otolaryngology - Head
and Neck Surgery (AAO-HNS) Diagnostic- Guidelines (Committee
on
hearing and equilibrium. Guidelines for the diagnosis and evaluation
of therapy in Menière’s disease. Otolaryngology -
Head and
Neck Surgery 1995;113:181-5.)
kann eine definitive Diagnose erst
auf der Grundlage mindestens zweier spontaner Episoden von
Drehschwindel die mindestens 20 Minuten gedauert haben,
audiometrischer Bestätigung eines
Hörverlustes, plus
Tinnitus und/oder der Empfindung eines Völlegefühls
im Ohr
gemacht werden. Diese Kriterien schließen die
meisten
anderen Störungen des Gleichgewichtssystems aus und erfordern
aber dennoch eine weitere Differentialdiagnostik. Während im
späteren Krankheitsstadium eine mit den Drehschwindel-Attacken
einhergehende fortschreitende Hörminderung auch durch
entsprechende objektive Hörtests gesichert werden kann, sind
die
technischen Untersuchungen in der Frühphase der Erkrankung
nicht
zur Sicherung der Diagnose hilfreich und können nur dazu
dienen,
andere Ursachen auszuschließen. Die Beobachtung einer
typischen
Attacke mit den dabei auftretenden Augenbewegungs-Störungen
(Nystagmus) kann die Diagnose ermöglichen. Es
handelt sich
um keine psychosomatische Erkrankung. Sekundär entwickeln aber
nicht wenige Patienten eine Angststörung,
Misstrauen und Reizbarkeit, die
entsprechend behandelt werden
müssen.
Behandlung:
Die Studienlage zur Behandlung ist
soweit
eruierbar unbefriedigend.
Die einzelne Attacke ist
zeitlich begrenzt und klingt auch ohne Behandlung ab. Der Kranke
sollte sich bei einer Attacke an einem sicheren Ort hinsetzen oder
hinlegen, bis die Attacke abgeklungen ist. Während der Attacke
sollte man nicht essen oder trinken, da Nahrung in der Regel wieder
erbrochen wird. Wenn das Erbrechen ausnahmsweise bei Erwachsenen
länger als einen Tag oder bei Kindern länger als 12
Stunden
anhält, sollte man einen Arzt hinzuziehen und/oder Medikamente
gegen Übelkeit und Schwindel einnehmen, damit es nicht zu
einem
zu großen Flüssigkeitsverlust kommt. In
der akuten
Krankheitsphase ist wegen der meist kurzen Dauer der Symptome
lediglich die Gabe von solchen Medikamenten sinnvoll, welche die
Übelkeit und das Erbrechen vermindern. (Vomex A
Zäpfchen,
Sulpirid). Manchmal kann auch die ärztliche Gabe eines
Diuretikums den Anfall abkürzen, häufiger werden
Diuretika
wie Triamteren/Hydrochlorothiazid Kombinationen vorbeugend zwischen
den Anfällen verordnet. Zur Vermeidung weiterer Attacken
werden
Medikamente benutzt, welche die Mikrozirkulation im Innenohr
verbessern sollen (Wirkung eher zweifelhaft). Auch zum sicher am
häufigsten verordneten Betahistin, Betahistidin und dessen
verschiedenen Abwandlungen gibt es bisher keine qualitativ guten
Studien, die auf eine sichere Wirkung auf irgend eines der Symptome
des M. Menière schließen
lassen. (James
AL, Burton MJ Betahistine for Menière's disease or syndrome
The
Cochrane Library, Issue
2,
2001). Nebenwirkungen
hat diese Substanz nach bisherigem
Wissen allerdings auch nicht. Es gibt auch Autoren die Betahistin
für
nach Studienlage wirksam erachten. Nach Studienlage also durchaus
einen Versuch wert. Manchmal werden auch Verapamil oder andere
Kalziumantagonisten bzw. Kortisonstoßtherapien
verordnet.
Die transtympanale Gentamicintherapie durch den HNO- Arzt (das
Antibiotikum wird über das Mittelohr zugeführt)
richtet
sich erfolgreich gegen die schweren invalidisierenden
Schwindelanfälle bei der Menière'schen
Krankheit.
Atlas and Parnes berichten dass eine vierwöchige
intratympanische Injektion von Gentamicin bei Patienten mit schlecht
behandelbarem M. Menière zu einer deutlichen Besserung
führte
ohne das Gehör wesentlich zu schädigen.
Minor kommt
zum selben Ergebnis wobei er die einseitige vestibuläre
Hypofunktion wie das Auftreten eines spontanen Nystagmus dazu nutzte
um zu entscheiden, wann die Gentamicinbehandlung beendet werden
sollte. Es werden Erfolge berichtet mit Erhalt des Gehörs bei
90% der Patienten. Auch eine neue Untersuchung berichtet über
eine komplette Kontrolle des Schwindel bei 90% der Patienten durch
Gentamicin, eine schwere Hörstörung trat dabei nur
bei
einem von 34 Patienten als Folge der Gentamicininjektionen
auf.
5 (15%), gaben ihr Hörvermögen gebessert an, 23 (68%)
als
unverändert an und 6 (17%) der Patienten als durch die
Gentamicininjektionen verschlechtert. Eine Rückkehr der
Schwindelsymptomatik trat bei 10 von 34 Patienten (29%) nach einem
Intervall von 4 bis15 Monaten nach der ursprünglichen
kompletten
Symptomfreiheit auf. Diese Patienten wurden ohne negative Folgen
für
das Gehör in der Studie noch einmal mit Gentamicininjektionen
behandelt. (The Laryngoscope 2003; 113(5):815-820)
Spezielle
Applikationsverfahren werden neuerdings getestet. Auch diese
Verfahren ist nicht unumstritten. Dexamethason lokal
injiziert
soll eventuell eine gleichwertige Alternative zur
Aminoglykosidbehandlung sein. Behandelt werden vorwiegend einseitig
Erkrankte. Die Erfolgsrate liegt nach Angaben mancher Autoren
bei 80-90% Selbstverständlich ist die Erhaltung des
Gehörs
auf dem behandelten Ohr sehr wichtig. Nur in seltenen Fällen
ist
eine Op erforderlich. Da der Langzeitverlauf des M. Menière
doch recht günstig ist und sich ca. 80 Prozent der
Fälle
innerhalb von fünf bis zehn Jahren spontan verbessern, sind
chirurgische Maßnahmen mit Zerstörung bestimmter
Strukturen des Innenohres nur sehr selten nötig. In wieweit
die
Aminoglykosidbehandlung oder die Dexamethasoninjektion einen
eindeutig langfristig positiven Effekt haben, bleibt allerdings auch
weiter Gegenstand der Forschung. Die
Unterschiedlichkeit des Verlaufs und nicht immer eingehaltene
vergleichbare diagnostische Kriterien erschweren die Beurteilbarkeit
der Therapieverfahren. Generell
wird empfohlen auf
Koffein, Zigaretten, und Aspirin bei diesem Syndrom zu verzichten. Es
wird auch empfohlen auf eine regelmäßige
Flüssigkeitsaufnahme und einen geringen Kochsalzkonsum
(salzige
Speisen meiden) zu achten.