Texte von Fernando Pessoa

Der Traum ist das übelste Rauschmittel, denn er ist das natürlichste von allen.
Er schleicht sich leichter in unsere Gewohnheiten als jede andere Droge, man kostet in wie ein verabreichtes Gift, ohne es zu wollen. Es tut nicht weh, macht weder bleich noch matt- doch die Seele, die sich seiner bedient, wird unheilbar krank, kommt ohne dieses Gift nicht mehr aus, da sie selbst, die Seele, es ist.

Ich hatte eine gewisse Begabung zur Freundschaft, doch Freunde hatte ich nie, entweder sie waren nicht vorhanden, oder das, was ich unter Freundschaft verstand, war ein Irrtum meiner Träume. Ich habe immer einsam gelebt, und je einsamer ich war, desto klarer sah ich mich.

Schließlich endete der Herbst, kalt und grau.
Was nun kam, war ein Winterherbst, Schmutz gewordener Staub aller Dinge, doch die winterliche Kälte hatte auch ihr Gutes; der sengende Sommer lag hinter, der Frühling lag vor uns, und der Herbst bekannte sich endlich zum Winter. Und in den luftigen Höhen, wo matte Farben nicht mehr an Hitze noch Traurigkeit erinnerten, war alles der Nacht geneigt und endloser Meditation.

Eine Gelegenheit muß wonnevoll verschmäht und außer Reichweite verstaut werden.

Der höchste Träumer hat das höchste Martyrium zum Sohn.

Wer einen Traum verwirklichen will, muß ihn vergessen, ihm die Aufmerksamkeit entziehen. Daher heißt verwirklichen nicht verwirklichen. Das leben ist voller Paradoxe wie die Rosen voller Dornen.

Der visuelle Liebhaber!
Ich habe von tiefster Liebe und ihrer Nützlichkeit eine oberflächliche und dekorative Vorstellung. Ich bin den visuellen Leidenschaften verfallen. Halte so mein Herz im Takt für weitere unwirkliche Bestimmungen.

Ich kann mich nicht erinnern, je mehr an jemanden geliebt zu haben als sein Bild, das reine Äußere, in dem die Seele die Rolle der Belebenden einnimmt, ihm Leben einhaucht und somit ein anderes Bild malt, als Maler dies tun.

Und so liebe ich; ich fasse eine Gestalt ins Auge, weil sie schön ist, anziehend oder was auch immer, liebenswürdig, gleich ob Mann oder Frau- denn, wo kein Begehren ist, ist das Geschlecht einerlei - , und diese Gestalt, das Bild, das ich von ihr habe, macht mich blind, nimmt mich gefangen, hält mich besetzt. Und doch will ich nur sehen, nichts würde mich mehr verschrecken als die Möglichkeit (?) die Person, die dieses Bild sichtbar darstellt, kennenzulernen oder zu sprechen.


Hält der Sommer Einzug, werde ich traurig.
Eigentlich müßte das strahlende, wenn auch grelle Licht der Sommerstunden einem, der nicht weiß, wer er ist, wohltun. Aber nein, mir tut es nicht wohl. Zu stark ist der Kontrast zwischen dem äußeren, überschäumenden Leben und dem, was ich fühle und denke, ohne fühlen oder denken zu können.


Phantasiegestalten sind klarer und wahrer als wirkliche Gestalten.
Die Welt meiner Phantasie war immer die einzig wahre Welt für mich. Nie habe ich Liebe so wahr erlebt, so beschwingt, intensiv und lebendig, wie mit den Gestalten, die ich mir selbst erschuf. Ein Wahnsinn! Und denke sehnsüchtig an sie zurück, denn wie jede andere Liebe ist auch sie vergänglich……


Wollen heißt nicht können.

Wer konnte, wollte, ehe er konnte, konnte aber erst danach.

Wer will, wird niemals können, denn er verliert sich im Wollen.

Ich denke, die Prinzipien sind grundlegend.

   

 

Überdruß ist die körperliche Empfindung des Chaos, eines Chaos, das alles ist. Der Gelangweilte, der sich unbehaglich Fühlende, der Müde fühlen sich gefangen in einer engen Zelle. Wer die Enge des Lebens verabscheut, fühlt sich gefesselt in einer großen wertlosen Freiheit einer unendlichen Zelle.

Über denen, die Langeweile, Unbehagen oder Müdigkeit empfinden, können die Zellenmauern einstürzen und begraben.


Natur ist, wo wir nicht sind. Dort, nur dort gibt es wirkliche Schatten und wirkliche Bäume.


Reichtum ist Freiheit


Der Käufer unnützer Dinge sind klüger, als sie meinen - sie kaufen kleine Träume. Beim Kaufen sind sie Kinder.


Die Sucht nach dem Absurden und Paradoxen ist die tierische Freude der Traurigkeit.


Ich vertrete die widersprüchlichsten Meinungen, die unterschiedlichsten Glaubensanschauungen. Daher denke, rede, handle ich nie…..für mich denkt, redet, handelt stets einer meiner Träume, in dem ich mich im entsprechenden Augenblick verkörpere. Ich rede, und ein Ich-Anderer spricht. Als wirklich mein empfinde ich einzig eine enorme Unfähigkeit, eine unermeßliche Leere, ein Unvermögen gegenüber allem, was Leben ist. Ich kenne keine Geste, die wirklichen Handeln entspräche……


Ich wünschte mir, die Lektüre dieses Buches hinterließe bei Ihnen den Eindruck eines wollüstig durchlebten Alptraums!!!!!


Begeisterung ist geschmacklos.


Der Onanist mag abstoßend sein, doch genaugenommen ist er der vollkommende logische Ausdruck des Liebenden. Als einziger gibt er weder etwas vor, noch betrügt er sich selbst.


Leben heißt, nicht denken!


Die romantische Liebe ist infolgedessen ein Weg zur Enttäuschung. Sie ist es nur dann nicht, wenn man die Enttäuschung von Anfang an einkalkuliert und beschließt, das Ideal beständig zu wechseln und in den Werkstätten der Seele beständig neue Kleider zu weben, der sie trägt, beständig ein neues Aussehen verleihen. Wir lieben niemanden, nie. Wie lieben allein die Vorstellung, die wir von jemanden haben.

Unsere eigene Idee - uns selbst also - lieben wir.


Ich habe immer nur geträumt. Dies und nur dies ist der Sinn meines Lebens gewesen.

Von wirklichen Belang war für mich nur mein inneres Leben. Meine größten Kümmernisse verflogen, wenn ich das Fenster auf die Straße meiner Träume öffnend mich selbst vergaß bei dem, was ich sah.

Ich habe nie etwas anderes sein wollen als ein Träumer.


Ach, es gibt keine schmerzlichere Sehnsucht als nach Dingen, die nie waren.


Was ich fühle, wenn ich an meine wirkliche Vergangenheit denke, wenn ich über  dem Leichnam des Lebens meiner dahingegangenen Kindheit weine…. ist nicht zu vergleichen mit der schmerzlich bebenden Inbrunst, mit der ich die Unwirklichkeit meiner bescheidenen Traumgestalten beweine, selbst jener weniger wichtigen, die ich erinnern kann, nur einmal gesehen zu haben in meinem Pseudoleben, als sie in meiner erschauten Welt um eine Straßenecke bogen oder den Torweg einer Straße passierten, die ich in meinem Traum hinauf und hinunter ging.


Schlaf ist die Verschmelzung mit Gott, das Nirwana, wie immer man es auch nennen mag; Schlaf ist die langsame Analyse der Empfindungen, ob man sie nun wie atomare Wissenschaft von der Seele einsetzt oder wie eine Musik des Willens, ein träges Anagramm der Eintönigkeit durchschläft.


Wenn ich das Leben der Menschen aufmerksam betrachte, finde ich darin nichts, was es vom leben der Tiere unterschiede.  

Die einen wie die anderen werden unbewußt durch die Dinge und die Welt geworfen; die einen wie die anderen legen hin und wieder eine Pause ein, die einen wie die anderen durchleben täglich den gleichen organischen Ablauf; die einen wie die anderen denken, und sie leben auch nicht über das hinaus, was sie leben.

Die Katze räkelt sich in der Sonne und schläft in ihr. Der Mensch räkelt sich im Leben mit all seinem Verwicklungen und schläft in ihm. Weder Tier noch Mensch entkommen dem schicksalhaften Gesetzt, zu sein, was sie sind.


Dies ist ein Tag, an dem die Eintönigkeit aller Dinge mich bedrückt, als käme ich in den Kerker. Diese Eintönigkeit ist jedoch nichts anderes als die meine. Jedes Gesicht, auch wenn wir es gestern gesehen haben, ist heute ein anderes, denn heute ist nicht gestern. Jeder Tag ist der, der er ist, und nie hat es auf der Welt einen ebensolchen gegeben.


Meine Scheu vor Neuem ist beängstigend; Ruhig bin ich nur, wo ich schon gewesen bin.


Der trübe, träge Tag wird feuchtheiß. Allein im Büro, lasse ich mein Leben Revue passieren, und was ich sehe, ist wie der Tag, der mich bedrückt und bedrängt. Ich sehe mich als Kind, mit allem zufrieden, als jungen Mann, der nach den Sternen greift, als reifen Mann ohne Freude und Streben. Und all das geschah träge und trüb wie der Tag, der mich dies sehen oder erinnern läßt.

Wer von uns, der zurückblickt auf dem weg ohne Umkehr, kann sagen, er habe den rechten Weg eingeschlagen???


Die vier Wände meines ärmlichen Zimmers sind für mich zugleich Zelle und Distanz, Bett und Sarg!


Frauen - eine gute Quelle für Träume. Berühre sie nie.

Lerne zu unterscheiden zwischen dem Gedanken an Sinneslust und dem Gedanken an Vergnügen. Lerne, Dich an allem nicht um seiner selbst willen zu erfreuen, sondern um der Gedanken und Träume willen, die es hervorruft. Denn nichts ist, was es ist, die Träume aber sind immer Träume.


Ich hasse es zu lesen.

Allein der Gedanke an unbekannte Seiten verdrießt mich. Ich kann nur lesen, was ich schon kenne. Mein Kopfkissen ist die Rhetorik von Pater Figueiredo. In ihm lese ich allabendlich zum tausendundersten Mal, in einem makellosen klösterlichen Portugiesisch, die Beschreibung der rhetorischen Figuren, deren Namen, obschon mehr als tausendmal gelesen, ich nicht zu behalten vermag.


Eine Marter, das Schicksal! Vielleicht sterbe ich morgen! Vielleicht widerfährt meiner Seele heute Schreckliches!....Mitunter, wenn ich daran denke, erfaßt mich Angst vor dieser höchsten Tyrannen, die uns zwingt, voranzuschreiten, nicht wissend, wohin unsere ungewissen Wege führen.


Jeder Mensch der tat ist seinem Wesen nach lebhaft und optimistisch, weil glücklich ist, wer nicht fühlt. Einem Mann der Tat erkennt man daran, dass er nie schlecht gelaunt ist. Wer arbeitet, obwohl er schlecht gelaunt ist, ist ein Handlanger des Handelns; er mag im Leben, im großen Allgemeinen des Lebens ein Buchhalter sein, wie ich es in meinem besonderen bin; er kann nicht Herrscher über Menschen und Dinge sein. Zur Herrschaft gehört Fühllosigkeit. Es herrscht, wer heiter ist, denn um traurig zu sein, muß man fühlen.


Jawohl, morgen, oder wenn das Schicksal sein Machtwort spricht, wird ein Ende haben, was in mir vorgab, ich zu sein.


Ich suche - und finde nicht. Ich will und kann nicht.

Ohne mich geht die Sonne auf und erlischt; ohne mich fällt der Regen und heult der Wind. Nicht meinetwegen gibt es Jahreszeiten, Monate, Stunden, die vergehen.


Ich habe mein Leben verfehlt, noch bevor es begann, denn nicht einmal geträumt erschien es mir reizvoll.


Was ist reisen, und wozu dient es? Jeder Sonnenuntergang ist ein Sonnenuntergang, um ihn zu sehen, muß man nicht nach Konstantinopel. Und das Gefühl der Befreiung, das vom reisen ausgeht? Das kann ich ebenso haben, wenn ich von Lissabon nach Benfica, in die Vorstadt, fahre, und zwar sehr viel intensiver als einer, der von Lissabon nach China reist, denn ist die Befreiung nicht in mir, erlange ich sie nirgendwo. “Jede Straße sagte Caryle”, sogar die Straße von Entepfuhl führt Dich ans Ende der Welt” Aber folgt man der Straße von Entepfuhl ganz bis zum Ende, kommt man nach Entepfuhl zurück; derart, daß Entepfuhl, wo wir bereits waren, eben jenes Ende der Welt ist, das wir auszogen zu sehen.


Die Vorstellung zu reisen erfüllt mich mit Ekel.

Ich habe bereits alles gesehen, was ich nie gesehen habe.

Ich habe bereits alles gesehen, was ich noch nicht gesehen habe.


Landschaften sind Wiederholungen. Auf einer schlichten Zugfahrt bin ich beängstigend sinnlos hin und hergerissen zwischen meinen Desinteresse für die Landschaft und meinem Desinteresse für das Buch, das mir die Zeit vertriebe, wäre ich ein anderer. Ich verspüre einen unbestimmten Ekel vom dem leben, und jede Bewegung verstärkt ihn noch.

Nur Landschaften, die nicht existieren, und Bücher, die ich nie lesen werde, sind nicht ermüdend. Ach, sollen die reisen, die nicht existieren!


Zur Entspannung fehlt mir die Gesundheit der Seele. Zum Mich-Bewegen fehlt  mir etwas zwischen Seele und Körper; nicht das Bewegen verweigert sich mir, sondern das Verlangen nach ihm.


In jener warmen Zwischenzeit, bevor der Sommer endet und der Herbst kommt, in der Luft schwer ist und die Farben verblassen, kleiden sich die späten Nachmittage in fühlbar falschen Glanz. Vergleichbar jenen trügerischen Phantasien, in denen Sehnsüchte aus dem Nichts entstehen und sich so unendlich fortsetzen wie die Schlangenlinien  aus dem Kielwasser der Schiffe.

An diesen Nachmittagen kommt, wie die Flut im Meer, ein Gefühl in mir auf, schlimmer als Überdruß, für das es dennoch keinen anderen Namen gibt - ein Gefühl nicht zu ortender Verzweiflung, eines Schiffbruchs der ganzen Seele.

So immens ist der Überdruß, so beherrschend das Entsetzen, am Leben zu sein, dass ich mir kein Beruhigungsmittel, kein Gegengift, keinem Balsam und kein Vergessen vorstellen kann, die Abhilfe brächten.


Der Mensch sollte sein eigenes Gesicht nicht sehen können. Nichts ist schlimmer. Die Natur verlieh ihm die Gabe, sein Gesicht so wenig sehen zu können, wie er sich in die eigenen Augen sehen kann.

Nur im Wasser der Flüsse und Seen konnte er sein Gesicht betrachten. Und die Haltung, die er dabei einnehmen mußte, war symbolisch. Er mußte sich bücken, beugen, um die Schande zu begehen sich zu sehen.

Der Schöpfer des Spiegels hat die menschliche Seele vergiftet.


        

Ästhetik des Verzichts

  

Sich abfinden heißt sich unterwerfen, siegen heißt sich abfinden und somit besiegt zu werden. Deshalb ist jeder Sieg ein Unding. Die Sieger verlieren stets all jene Kräfte, die sie aus der Verzweiflung in den Kampf und zum Sieg führten. Der Sieg genügt ihnen, und genügsam kann nur sein, wer sich abfindet, wer nicht die Mentalität eines Siegers hat. Es siegt nur, wer nie gewinnt. Stark ist nur, wer stets den Mut verliert. Das Beste und Purpurste ist der Verzicht. Das Reich aller Reiche ist das des Herrschers, der auf ein normales Leben verzichtet, auf andere Menschen, und auf dem das Bewahren des Herrschaft nicht lastet wie schwere Juwelen.


Die einzige eines höheren Menschen würdige Einstellung ist das beharrliche Festhalten an einer Tätigkeit, die er als nutzlos erkennt, das Unterwerfen unter eine Disziplin, von der er weiß, dass sie fruchtlos ist, und das rigorose Anwenden philosophischer und metaphysischer Denknormen, deren Bedeutungslosigkeit er erkannt hat.